Mittwoch, 22. Mai 2024
komorebi 木漏れ日
Mittwoch, 15. Mai 2024
Der Wert der Arbeit
Guten Tag, meine Lieben. Heute möchte ich mit Euch etwas in eigener Sache teilen. Mich bewegt gerade die Frage: Wie viel ist unsere Arbeit wert? Ist es nicht absurd, dass zum Beispiel ein
Bundesliga-Spieler sechsstellige Beträge "verdient", während eine
Altenpflegerin von ihrem Gehalt kaum die Miete bezahlen kann? Wer also
bestimmt den Wert einer Arbeit? Das sind wir selbst, als Gesellschaft
und als Einzelne.
Vor elf Jahren habe ich beschlossen, einen Blog zu veröffentlichen. Ich wollte im weltweiten Netz eine Gegenstimme sein zu den Nachrichten über Gewalt, Krieg, Verbrechen und Katastrophen anderer Art. Mein Blog sollte zu einem Raum werden, in dem alles Platz hat, was uns stärkt, ermutigt, inspiriert. In diesen weiten offenen Raum lade ich seitdem Menschen ein, die im selben Geist wie ich leben und nach anderen Lösungen für unsere Probleme suchen. Menschen, die bewusst wahrnehmen, Achtsamkeit und Freundlichkeit schätzen, Klarheit und Poesie. Also Menschen wie Sie und Du.
Inzwischen sind 600 Posts online (einen Teil habe ich, weil nicht mehr aktuell, herausgenommen), die über 1000 Kommentare bekommen haben. Mein Blog wird in mindestens zwölf Ländern gelesen (meine Statistik vermerkt dazu "und etliche weitere") und hat täglich viele Hundert Aufrufe. Darüber freue ich mich sehr.
All dies macht viel Arbeit. Ich schreibe nicht nur meine Texte, ich recherchiere Texte und Links,
ich suche nach Musik und Videos, ich lese Bücher für Euch. Deshalb habe ich in den letzten Monaten darüber nachgedacht, den Blog zu schließen. Aber ich habe gemerkt, wie sehr ich an dieser Form des Schreibens hänge und dass ich die Kontakte mit Euch, die über den Blog entstehen, vermissen würde.
Inzwischen sind viele Blogger dazu übergegangen, eine Paywall einzurichten, sodass man die Texte nur in Form eines regelmäßig gezahlten Abonnements bekommt. Die meisten anderen bitten um Spenden. Und das tue ich nunmehr auch.
Im Buddhismus gibt es Dana, die praktizierte Großzügigkeit; buddhistische Lehrer in Asien arbeiten fast immer auf Spenden-Basis. Aber wir im Westen haben eine Bezahl-Kultur. Wir wollen wissen, "was das kostet", und dann entscheiden wir uns dafür oder dagegen. Damit geht unsere Freiheit und Eigenverantwortung verloren. Ein zu bezahlendes Abo würde weder zu mir noch zur Ausrichtung dieses Blogs passen.
Ich habe mich entschlossen, diesen Blog weiter zu führen, und er wird wie in den letzten elf Jahren frei zugänglich sein für jede und jeden. Aber wenn er Dir gefällt und Dich inspiriert und Du es Dir leisten kannst, freue ich mich sehr über eine Spende. Die Höhe entscheidest alleine Du, auch ein kleiner Betrag ist willkommen. Du wirst in Zukunft unter jedem Post den Spenden-Link sehen, außerdem ist er in der rechten Sidebar ganz oben, versteckt unter dem Sterntaler-Bild. Du findest alle Informationen, wenn Du unverbindlich auf den Link klickst.
Ich danke Dir, dass Du mir bis hierher zugehört hast. Und hier ist der Link (klick).
Donnerstag, 9. Mai 2024
Chapelle Notre-Dame-du-Haut Ronchamp
Ich war sehr jung. Es war Sommer, mein Freund und ich waren unterwegs nach Spanien, und weil ich in irgendeiner Zeitschrift ein Bild von einer atemberaubend schönen Kapelle gesehen hatte, die, wie ich fand, auf dem Weg lag (was ein Irrtum war), suchten wir in der Franche-Comté nach dem Wunder, und als er (nicht ich) schon ungeduldig wurde, sahen wir sie, hoch oben auf einem Hügel. Le Corbusiers Chapelle Notre-Dame-du-Haut in Ronchamp.
Ich wollte nicht mehr weg. Diese Stille. Das Licht. Die Farben. Das, dachte ich, ist Architektur, in der ich atmen kann. Er aber wollte nach Spanien. Ich kaufte eine Ansichtskarte, die bis heute in meinem Besitz ist, und fasste den Entschluss: Da will ich noch mal hin.
Es dauerte fast fünfzig Jahre. Am Sonntag war ich noch einmal dort. Weil man seine Entschlüsse umsetzen soll, solange man noch Zeit dafür hat.
Auf dem Hügel stand bereits eine unbedeutende Kapelle, die im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Ein fortschrittlicher Dominikaner wollte Le Corbusier gewinnen, eine moderne Kapelle zu bauen, aber der Atheist lehnte ab: Er hatte keine Lust, "für eine tote Institution" zu arbeiten. Irgendwie gelang es, Le Corbusier 1950 auf den Hügel zu locken, und als er dort oben stand und in die Weite blickte, war er gewonnen.
Die Kapelle ist gebaute Poesie. Das Mauerwerk besteht aus den Abbruchsteinen der alten Kapelle, Zement und Stahl. Le Corbusier: "Große Kunst entsteht aus einfachen Mitteln." Das frei schwingende Dach ist dem Panzer einer Krabbe nachgebildet, der Innenraum nach dem Lauf der Sonne ausgerichtet, denn die Kapelle ist ausschließlich mit Tageslicht beleuchtet. Wenn die östliche Kapelle im Tagesverlauf dunkler wird, wird die westliche heller. "Raum, Licht und Ordnung. Das sind die Dinge, die Menschen genauso brauchen wie Brot oder einen Platz zum Schlafen."
Natürlich rief der Bau Empörung hervor, vor allem bei den Vertretern der Kirchen, aber auch bei Kunsthistorikern. Von "neuem Irrationalismus" war die Rede und von der "Abweichung vom richtigen Weg".
Ich sitze in leuchtenden Farben. Die Glasbausteine hat Le Corbusier selbst bemalt; sie zeigen Motive aus der Natur, immer wieder das Meer und eine Hommage an seine Mutter Marie. Die gewölbte Wand eines Seitenaltars ist in einem so intensiven und gleichzeitig sanften Rot gehalten, dass meine Kamera bei der Wiedergabe versagte. Dieser Altarraum mit seiner bergenden Geste ist für mich ein intimer weiblicher Ort, ein Uterus.
Unterhalb der Kapelle erbaute der Architekt Renzo Piano das Kloster der Clarissen, das 2011 eingeweiht wurde und ebenfalls heftige Kritik auslöste, weil das Neue und vielleicht auch das Schlichte in einer Welt der Übereinkünfte und des So-war-es-schon-Immer eine Provokation ist. Das Kloster schmiegt sich unauffällig in den Berg, ich hätte es fast übersehen. Es gibt ein Nähatelier, eine Bibliothek, das Refektorium, Gästezimmer und zwölf Zellen, die ich natürlich nicht besuchen durfte. Sie alle haben Bett, Schreibtisch und Stuhl aus Zedernholz. Die Böden sind in warmem Orange gehalten. Gibt es irgendwo auf der Welt ein moderneres, ästhetischeres Kloster als dieses? Auch Piano spielt mit Oberlichtern, und ich hatte das Glück, einen Moment aufleuchtender Sonne in der Kapelle zu erleben.
Wie fruchtbar es doch ist, vom "richtigen Weg" abzuweichen und etwas zu erschaffen, das die sogenannten Vernünftigen als "irrational" ansehen.
Le Corbusier war mehr Künstler als Architekt (ein Metier, das er übrigens nie studiert hatte). Deshalb wusste er etwas, das Ingenieuren möglicherweise entgeht: "Der gegenwärtige Moment ist kreativ, er erschafft mit unerhörter Intensität."
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Freitag, 3. Mai 2024
Fallende Kirschblüten
Fallende Kirschblüten 散る桜
chiru sakura
auch die blühenden sind 残る桜も nokoru sakura mo
fallende Kirschblüten 散る桜
chiru sakura
Ryôkan
(Aus dem Japanischen von Munish Bernhard Schiekel)
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Ein Haiku über die Vergänglichkeit alles Seienden. Wenn in Japan die Kirschen blühen, versammelt sich die halbe Nation unter den Bäumen, breitet Decken aus und hält Picknick. Japaner wissen, wie schnell die Kirschblüten welken, deshalb müssen sie mit Dankbarkeit gefeiert werden - jetzt, an diesem Tag, in diesem Moment. Denn nur, wer das Blühen von ganzem Herzen gefeiert hat, kann auch das Verwelken annehmen.
Und das ist eine Aussage nicht nur über Kirschblüten.
Auf der Homepage meines Dharma-Freundes Munish Schiekel finden sich viele Gedichte, Haikus und andere lesenswerte Texte. Hier mal stöbern (klick).