Freitag, 9. Juli 2021

In der Grauzone


Dieser Sommer in Süddeutschland ist ein Sommer in der Grauzone. Die Grauzone hat ja keinen guten Ruf. Sie ist irgendwie zwielichtig, kein Ort, an dem sich ein ordentlicher südbadischer Vorortbürger aufhalten möchte. Weiß man ja nicht, was einem da so begegnet (an zwielichtigen Gestalten). Die Grauzone ist, wenn sie kein Ort ist, ein Zwischenzustand, weder Weiß noch Schwarz, metaphorisch gesagt: weder gut noch schlecht. Also neutral. Die Neutralität wiederum hat auch nicht gerade viele Anhänger. Man kann sich als Neutraler nämlich nicht profilieren. Die Neutralen machen keine Karriere, die bemerkt keiner, die sind irgendwie unsichtbar. Genau: sie sind grau.

Die, über die man spricht, also die angeblichen Gewinner unserer Gesellschaft, befinden sich auf der Buntseite. Da, wo die Farben grell sind, die Töne laut, die Bewegungen heftig. Dort werden Kontakte geknüpft, Fäden gezogen, dort sind die Urteile klar und werden zweifelsfrei geäußert. Dort sind alle Kanten klar gezeichnet, die Schatten sind hart, das Licht ist es nicht minder. Aber bunt. Auf jeden Fall sehr bunt.

Eigentlich.

Aber dann dieser Sommer. Da zeigt uns einer, wozu die Grauzone fähig ist. Von wegen Neutralität. Es kracht und gießt, aus Kellern suppt es auf die Straße, Gullys würgen ihren Inhalt hoch. Ein Sommer, der sich als graue Eminenz profiliert und klare Ansagen macht. Der unseren Vorstellungen von Sommer den Pfützenspiegel vorhält. Ein Sommer, den die Meditationslehrerin freudig als Beispiel ergreift, um den Satz lebensnah zu erklären, der da heißt "lass alle Erwartungen los und sag ja zu dem, was ist".

 


 

Und was passiert dann? Genau: Die Grauzone erweist sich als ungewohnt und aufregend. Wer hat gesagt, dass Grau eine langweilige Farbe sei? Laut Graustufentabelle auf Wikipedia hat sie 256 Nuancen. Kann man jetzt am Himmel studieren, alle auf einmal. Dieser Sommer hat sogar ein eigenes Lied: das Geräusch des Regens, der auf die Blätter tropft. Ein Sonnensommer kriegt das nicht hin, der braucht einen eher minderbegabten Songschreiber, der ihm einen Sommerhit komponiert, in dem von Sohohonne die Rede ist und der dann auf allen Radiokanälen läuft.

Ach, und die Tropfen, die an den Glockenblumen baumeln, und dann kommt so eine Hummel, wackelt sich mit ihrem dicken Hintern in den Kelch, und der Tropfen fällt runter, ganz lautlos ...


1 Kommentar:

  1. Wunderschön,war mir eine Freude bei grauem Himmel, deine poetischen Zeilen zu lesen.
    Danke und einen schönen Tag Doro

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