Donnerstag, 30. August 2018

Adieu, August


Du hast dich noch nicht ganz von der Wärme verabschiedet, aber erste Kälte hattest du auch dabei. Dazu ein wenig Regen und den ersten Morgennebel. Du hast Früchte reifen und verfaulen und verdurstende Kastanien von den Bäumen fallen lassen. Es war viel Ende in dir - und ein wenig Anfang. Und doch warst du bei aller Bewegtheit tief und still, ein Monat, der sich ausruht. Deine Tage schienen sich mit sich wohlzufühlen; sie schlenderten behaglich vom Morgen in den Abend hinein, ließen sich nieder auf Terrassen und in Gartenwirtschaften und wichen nur ungern der Nacht. Beim zögerlichen Abschiednehmen zogen sie einen langen Schweif an Sommerwärme hinter sich her, der noch lange über den Gärten und Feldern hing. 

Danke, August, für deine Gelassenheit.

Sonntag, 26. August 2018

Kastanien, Sommer 2018


Sie sind verdurstet vom Baum gefallen, der sie nicht mehr halten konnte. Kastanien-Frühchen, noch ganz weich, ganz zart. Blind, die Augen noch nicht ausgebildet.

Ein Moment der Trauer auf dem Spaziergang mit der Kamera.

Verlinkt beim Naturdonnerstag

Donnerstag, 23. August 2018

Frei sein


Wo ich lebe, ist viel Himmel. In diesen weiten Himmel steigen morgens jetzt wieder die Ballons. Ich sitze beim Frühstück auf der Terrasse, sie fliegen direkt über meinen Kopf, ich sehe sie über mir kleiner und kleiner werden. Und auf einmal steigt das schmerzhafte Gefühl des Gefangenseins aus Jugendtagen auf, der brennende Wunsch, frei zu sein. Steigt auf in mir, scheinbar out of the blue, wie der Ballon aus dem Feld hinter meinem Haus.

Denn ich bin ja frei. Spirituell ohnehin, aber auch konkret. Frei, ein Flugzeug oder einen Zug zu besteigen, frei, morgen früh beispielsweise lieber ein Marmeladenbrot zu essen als Porridge, frei, niemanden um irgendeine Erlaubnis bitten zu müssen.

Gefühle dieser Art kommen nie aus dem Nichts. Sie waren irgendwann einmal die Antwort auf eine reale Situation. Damals waren sie angemessen, eine Botschaft unseres Herzens: Hier stimmt etwas nicht, hier muss etwas geändert werden. Aber dann wurden wir unaufmerksam. Vielleicht wollten oder konnten wir das zu Ändernde nicht ändern; das Gefühl blieb uns erhalten, es hängte sich an weitere, ähnliche Anlässe, und dann haben wir es sorgsam gepflegt, mit Aufmerksamkeit gefüttert, haben darüber nachgegrübelt und es, oft ohne es zu wollen oder auch nur zu bemerken, eingeladen, sich in unserem Geist und Herzen niederzulassen. Und mit jedem dieser Momente ist das Gefühl ein wenig stärker geworden und hat sich in uns breit gemacht, bis wir den Eindruck hatten, dieses Gefühl gehöre zu unserer Identität, ja wir seien geradezu das Gefühl. Ohne diese Angst, diesen Schmerz, diese Befürchtung kommen wir uns irgendwie unvollständig vor.

Der Buddhismus nennt das eine Gewohnheits-Energie. Solche mit Aufmerksamkeit genährten Energien übernehmen irgendwann das Kommando, und wir sind ihnen ausgeliefert.

Freiheit sieht anders aus.

Deshalb frage ich  mich bei jedem aufsteigenden Gefühl: Worauf bezieht es sich? Ist es eine Antwort auf eine in diesem Moment bestehende Situation, um die ich mich kümmern muss, oder ist es eine Energie, die aus der Vergangenheit stammt und jetzt und hier überhaupt nicht relevant ist? Körper, Herz und Geist erinnern sich noch, das Gefühl hat sich tief eingegraben, aber das Ereignis, auf das es sich bezieht, besteht schon lange nicht mehr.

Ich sehe dem Ballon nach, der hoch oben ins Blau eintaucht, halte einen Moment inne vor dem nächsten Schluck Tee und beschließe, auf keinen Fall jemals in einen solch winzigen Korb unter einer solch riesigen Plastikhülle zu steigen. Viel zu teuer, und dann, habe ich gehört, ist es dort oben auch im Hochsommer so kalt, dass die Fahrgäste gebeten werden, Wintermäntel anzuziehen.


Donnerstag, 9. August 2018

Nichts geschieht


Die Welt hält Siesta.

Die Enten lagern im Schilf, Köpfe im Gefieder. Alle Vögel halten Mittagsschlaf. Ein kleiner Käfer sitzt auf meinem großen Zeh; dort gefällt es ihm wohl, dort bleibt er erst mal. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen. In der heißen Stille des Hochsommermittags am Waldteich geschieht nichts. Muss nichts geschehen. Soll nichts geschehen. Die Welt ruht sich aus von den Kämpfen, Empörungen, Aufregungen, die ihr von den Menschen zugemutet werden. Auch eine Welt wird ja irgendwann müde.

Der Wirbel hat sich gelegt.

Die Gegenwart leuchtet.

Verlinkt beim Naturdonnerstag 

Samstag, 4. August 2018

Kurze Buddhas, lange Buddhas


Seht Ihr, wie da einer meditiert seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten im Wurzelwerk der Mauer von Burg Landeck? Die geschlossenen Augen, die vorspringende Nase, die Pausbacken? Ich habe mich vor ihm verneigt und durfte ihn fotografieren.


Ein langes Ding ist der lange Leib des Buddha.
Ein kurzes Ding ist der kurze Leib des Buddha.
Zenrin Kushu

"Manche Buddhas sind kurz, andere lang, manche Schüler sind Anfänger, andere weit fortgeschritten, aber jeder ist genau so, wie er ist, 'richtig'. Wenn er dagegen begierig darauf aus ist, sich zu verbessern, fällt er in den verhängnisvollen Kreislauf des Egoismus. Für den westlichen Geist mag die Anerkenntnis schwierig sein, dass sich der Mensch eher durch Wachsen als durch Selbst-Verbesserung entwickelt und dass weder der Körper noch der Geist dadurch wächst, dass er sich selbst streckt. So wie aus dem Samenkorn der Baum wird, so wird aus dem kurzen Buddha der lange Buddha. Das ist keine Frage des Sich-Besserns, denn der Baum ist kein verbessertes Samenkorn, und selbst die Tatsache, dass aus vielen Samenkörnern nie Bäume werden, ist in vollkommenem Einklang mit der Natur. Aus Samenkörnern werden Pflanzen, aus Pflanzen werden Samenkörner. Hier geht es nicht um höher oder niedriger, besser oder schlechter, denn in jedem Augenblick seines Wirkens hat der Prozess als solcher die Fülle seines Sinns.

Eine Philosophie des Nicht-Wollens weckt immer die Frage nach dem Ansporn. Wenn nämlich die Menschen, so wie sie sind, schon ganz richtig oder schon Buddhas sind - legt diese Selbstzufriedenheit dann nicht den kreativen Antrieb lahm? Die Antwort lautet: Handlungen, die einem äußeren Ansporn entstammen, haben nichts wirklich Kreatives an sich, denn das sind keine freien oder kreativen Taten, sondern konditionierte Reaktionen. Wahres Schöpferischsein ist immer zweckfrei, ohne Motiv darüber hinaus. Aus diesem Grund sagt man, ein echter Künstler bilde die Natur gemäß ihrer selbst ab und verstehe den wahren Sinn des Ideals einer 'Kunst um der Kunst willen'. Oder, wie Kojisei in seiner Saikontan geschrieben hat: 

'Wenn deine wahre Natur die schöpferische Kraft der Natur selbst hat, dann siehst du, wohin du auch gehst, (alle Dinge als) Fische springen und Gänse fliegen.'"  

Aus: Alan Watts "Leben ist jetzt", aus dem Amerikanischen von Bernardin Schellenberger, Herder Spektrum, ISBN 3-451-04622-9