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C: David Nyblack |
Es gibt Tage, da fühle ich mich, sobald ich meine Wohnung
verlasse, so (siehe oben). In der Welt erwarten mich Stacheln, nämlich Menschen, die viele Gründe finden, sich aufzuregen. Zum Beispiel – ganz fiktiv,
einfach mal angenommen – irgendwo im Haus ist etwas kaputt, irgendwo zieht es,
irgendetwas hat die Nachbarin (also zum Beispiel ich) nicht sauber genug geputzt. Oder
jemand fühlt sich von Dritten, die praktischerweise nicht anwesend sind und über die man also ausführlich schimpfen kann, respektlos behandelt oder wünscht sich
von ihnen die Erfüllung von allerlei Forderungen und Erwartungen. Solche Aufregung verlangt danach, mitgeteilt zu werden, und so werde ich, die
nichts weiter will, als einer Alltagsbeschäftigung nachzugehen, mit heißer
heftiger Energie überschüttet. Unvermutet. Überfallartig. Jederzeit.
Wenn es hier wirklich nur um Tatsachen ginge, gäbe es etliche
Lösungsmöglichkeiten. Man könnte sich fragen, ob die eigene Wahrnehmung wirklich korrekt ist. Ist sie es, könnte man den Vermieter um Mängelbeseitigung bitten oder
ausziehen. Man könnte auch über ein paar Unvollkommenheiten hinwegsehen und
sich klarmachen, dass andere Menschen nicht dazu da sind, unsere
Vorstellungen zu erfüllen. Vor allem sollte man mit den Menschen sprechen und nicht über sie. Aber es geht nicht darum, Lösungen zu finden, es geht um den
Wunsch, sich aufzuregen.
Eine der wichtigsten Anweisungen für die Meditationspraxis
im Alltag lautet, Tatsachen von unseren Reaktionen auf sie zu trennen. Ich
erinnere mich, dass diese genaue Unterscheidung auch mir anfangs nicht ganz
leicht fiel. Heute bin ich unendlich dankbar, sie gelernt zu haben. Woher kommt
dieser Zwang, sich aufzuregen? Die beste Erklärung dafür habe ich bei Eckhart
Tolle (in seinem Buch "Jetzt!") gefunden, der den in uns angesammelten Schmerz als einen eigenständigen
„Schmerzkörper“ bezeichnet. Der Schmerzkörper will „gefüttert“ werden, er
verlangt nach Nahrung: „Er lebt von jeder Erfahrung, die mit seiner eigenen Art
von Energie mitschwingt, von allem, was mehr Schmerz erschafft, in welcher
Form auch immer: Wut, Zerstörung, Hass, Trauer, emotionalem Drama, Gewalt und
sogar von Krankheit. Sobald er Macht über dich hat, wird der Schmerzkörper also
Situationen in deinem Leben erschaffen, die ihm seine eigene Energiefrequenz
zurückgeben, damit er sich davon ernähren kann.“
Der Schmerzkörper in uns allen ist es, der Feindschaft sät,
Intrigen anzettelt, Kriege erklärt. Wie können wir ihn beruhigen und heilen, so dass er nicht mehr nach Nahrung verlangt?
A tmen
L ächeln
I nnehalten
"Wenn Sie nicht wissen, was Sie tun
sollen, tun Sie gar nichts", pflegte Jiddu Krishnamurti zu sagen. Und
Thich Nhât Hanh ergänzt: "Nicht-Tun ist auch ein Tun". Die erfahrene
Meditationsschülerin, die auch ein Mann sein darf, praktiziert, wenn ein innerer oder äußerer Sturm losbricht, also erst einmal
das Nicht-Tun. Alle Ampeln stehen auf Rot, da rast man nicht los. Man hält an.
Man HÄLT INNE. Und während sie in leiser Ratlosigkeit irgendwo herumsitzt oder
herumsteht, tut sie sogar etwas:
sie ATMET.
Der Atem ist
des Meditierenden bester
Freund, er kann sich auf ihn verlassen: Er bleibt bei ihm bis zum Tod.
Wenn
also der Schmerzkörper aufwacht und nach jeder Menge Wut und emotionalem Drama verlangt, wendet sich der kluge Meditierende
an seinen
besten Freund und atmet drei Mal bewusst ein und aus. Schreit weder die Nachbarin an noch den Hund und rennt auch nicht hektisch herum. Er tut nur dies: ATMEN. Der Atem wurde seit jeher mit dem Geist gleichgesetzt;
schon in
der Genesis steht, dass Gott dem Menschen den Lebensatem einhauchte. Der
Atem
verbindet Körper und Geist, die im Alltag zu oft getrennte Wege gehen,
und ein
solcherart gesammelter Körper-Geist hat Kraft und Entschlossenheit. Die
alten
Samurai wussten das.
Aber bevor nun die gesammelte Kraft und
Entschlossenheit in Taten verwandelt wird, fällt der erfahrenen
Meditierenden ein Satz des Dalai Lama ein: "Freundlichkeit ist
meine Religion". Sie erinnert sich zudem daran, dass sie Humor hat, schaut
sich den ganzen Aufruhr an und LÄCHELT.
Und kocht sich erst einmal einen guten
Tee.
Das Wesen alles
Lebendigen ist unablässige
Verwandlung, und manchmal mögen wir das,
was das Lebendige uns präsentiert, überhaupt nicht. Da gibt es Leute, die uns respektlos behandeln, Nachbarinnen, die nicht pausenlos mit dem Wischlappen durch die Gegend laufen, und jede Menge Mängel - da draußen, aber auch in uns selbst. Mögen und
Nichtmögen
sind jedoch nur persönliche Meinungen, und auch Meinungen verändern sich
ständig.
Die Meditationsschülerin hat gelernt, ihre Meinung einfach als Meinung
zu
erkennen und sich damit nicht zu identifizieren. In ihrer Zenpraxis hat sie gesehen, dass die Arbeit am Schmerzkörper ihre eigene Aufgabe ist, die niemand für sie übernehmen kann. Sie hat begriffen, dass auch ihr Schmerzkörper, sobald er sich äußert, zu den zahllosen Konflikten in der Welt beiträgt, und sie nimmt sich vor, das Einzige zu tun, was tatsächlich in ihrer Macht steht: Ihren eigenen Schmerz zu beruhigen, damit der Schmerzkörper der Welt zumindest von ihr keine neue Nahrung erhält.
(Das ist "Zen im
Alltag" und DIE Grundübung aus der Dhyana-Schule von Thich Nhât Hanh.
Sie klingt simpel, ist eine Praxis fürs ganze Leben, nicht immer leicht
durchzuhalten, aber ihre Wirkung ist enorm. Für den, der sie
praktiziert, und vor allem für die Menschen, die mit ihm zu tun haben
...)