Ich mag es nicht, fotografiert zu werden. Sobald sich ein Sucher auf mich richtet, huscht etwas in mir davon. Etwas, das sich nicht festhalten lassen und vor aller Augen präsentieren will, noch dazu für alle Zeit. Also huscht es davon, und wenn ich Fotos von mir angucke, sehe ich, dass es fehlt. Und weil es fehlt, bin das nicht ich auf dem Foto. Nur vor der Fotografin Isolde Ohlbaum ist es nicht ganz davongelaufen (es lugt in den Fotos, die sie von mir gemacht hat, um die Ecke), denn mit ihr kann man sich über Bücher und Katzen unterhalten, also über die wirklich wichtigen Dinge. (Sie macht auch schöne Fotobücher. Die sieht man hier: www.ohlbaum.de)
Aber in einem Frühling, Sommer und Herbst vor etwa zweiunddreißig Jahren in Irschenhausen: da musste nichts davonhuschen. Das Atelier so still, die Sonne vor den hohen Fenstern, der Geruch nach Farbe, das leise Wischen des Pinsels auf der Leinwand, ich mit der Katze auf dem Schoß, die Füße auf einem warmen Backstein, denn das Atelier war immer fußkalt. Meine Freundin Johanna Kieling malte mich, und ich schrieb währenddessen an meinem dritten Roman. Zwei Künstlerinnen gingen ihrer Arbeit nach in Stille und Versunkenheit. Johanna war aus Berlin nach Oberbayern gezogen, um zu malen, ich hatte gerade alle Sicherheiten aufgegeben, um in München als freie Schriftstellerin zu leben. Jene Monate waren ein Aufbruch in die Freiheit. Die Gegenwart war atemberaubend neu, die Zukunft grenzenlos offen. Und an den Sommerabenden, nach der Arbeit, fuhren wir mit den Rädern hinunter an den Starnberger See, um zu baden.
Die eine zog ins Allgäu, die andere nach Rom, dann in den Schwarzwald. Die Formensprache von uns beiden veränderte sich im Lauf der Jahre. Aber in Johannas Bildern und meinen Texten ist bis heute dieser längst vergangene Sommer zu finden: die Sonne vor den Fenstern, das Wischen der Pinsel, die Stille, der Nachmittagskaffee im Garten und der abendlich leere Badestrand von Leoni. Auch wenn das sonst niemand sieht: Wir beide sehen es. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass kein Glück je verloren geht. Es verändert seine Formensprache und sieht vielleicht manchmal gar nicht mehr nach Glück aus, und doch ist das, woraus es gemacht war, aufgehoben in dem, was jetzt ist.
Was Johanna heute macht, kann man hier sehen: www.johannakieling.de
Man meint die Stille in diesem Atelier spüren zu können, die Sonnenstrahlen durch das Fenster scheinen zu sehen - eine schöne Beschreibung...
AntwortenLöschenIch lese immer wieder gerne hier!
Nur wenn man sich selbst erkennt, ist der Blick offen für das Wesentliche im Anderen.Ich spüre es sofort.
AntwortenLöschenDieser Text von Ihnen ,liebe Frau Irgang, drückt das besonders berührend aus.
Danke und liebe Grüße Gitti Haas