Mittwoch, 18. Juni 2025

Richard Pousette-Dart "Poesie des Lichts"

 

Feier der Geburt 1975/76


"Jedes lebendige Kunstwerk ... enthält einen inneren Kern, der mit Erklärungen, Definitionen und Untersuchungen nicht erreicht werden kann. Der Kern bleibt jenseits von all dem. Es ist dieses lebendige Etwas, das Kunst mystisch macht und wirklich." (Richard Pousette-Dart)

Richard Pousette-Dart brach sein Studium am renommierten Bard College ab, um seinen eigenen Weg zu gehen. Im Jahr 1941 - er war gerade 24 Jahre alt - erhielt er seine erste Einzelausstellung und wurde rasch, wie das im Kunstbetrieb so üblich ist, eingeordnet, in seinem Fall in die Generation der Abstrakten Expressionisten. Pousette-Dart aber lehnte jede Einordnung ab. Er lebte zurückgezogen, las Mystiker wie Jakob Böhme, auch Laotse und Daisetz Teitaro Suzuki und widmete sich den universellen spirituellen Symbolen Kreis, Spirale, Kreuz und Welle. Er wollte in seiner Kunst etwas erkunden, das er "Präsenz" nannte. Was macht ein Kunstwerk lebendig - und was geschieht zwischen dem Betrachter und dem Werk?




Byzantinische Kapelle


Im Museum Frieder Burda in Baden-Baden ist jetzt - dreiundzwanzig Jahre nach dem Tod des Künstlers - die erste Retrospektive seines Werks außerhalb der USA zu sehen, die zu Recht den Titel trägt "Poesie des Lichts". Vor den riesigen Leinwänden zu stehen ist überwältigend. Alles flirrt, tanzt, jedes Partikel scheint sich zu bewegen. Pousette-Dart hat bis zu dreißig verschiedene Farbschichten aufgetragen und teilweise wieder weggekratzt. Das Tryptichon "Byzantinische Kapelle" scheint aus winzigen Mosaiksteinen zusammengesetzt zu sein, aber es ist ein Gemälde. Von Weitem betrachtet, fällt hier das Licht durch blaue Kirchenfenster. Erst wenn man nahe herantritt, sieht man die feinen Grün- und Rottöne, die durch das Blau hindurchschimmern, und die pastos aufgetragene Farbe verändert das Bild je nach Lichteinfall.



Detail aus der "Byzantinischen Kapelle"


"Kunst ist Magie, sie ist Freude, mit Gärten voller Überraschungen und Wunder. Kunst ist Energie, Impuls, sie ist Frage und Antwort. Sie ist transzendentale Vernunft. Sie ist ihrem Geist nach ganzheitlich." (Richard Pousette-Dart)

In seinem sehr guten Essay im Begleitheft zur Ausstellung sagt der Schriftsteller Daniel Schreiber: "Bilder, die mit allen Dimensionen des Lichts spielen, mit seiner emotionalen und psychischen Wirkung, mit seiner irisierenden Reflexionsfähigkeit, mit seinem Schimmern, seinem Glanz und seinem Strahlen, mit seiner Fähigkeit, ungeahnte Energien freizusetzen. Es sind sphärische Harmonien, die so emotional sind, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Es sind Bilder, in denen man sich verliert."

Die Freude des Malers beim Malen strahlt aus jedem Bild. Ich konnte mich nicht sattsehen an diesem Leuchten und Flirren, und als meine Freundin und ich nach Stunden die Ausstellung verließen, waren wir einfach nur glücklich.



Das Prächtige 1950/51


Die Ausstellung ist bis zum 14. September 2025 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen. Unbedingt ansehen! Informationen hier (klick).

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Freitag, 13. Juni 2025

Morgens im Wald

 


An Pfingsten scheint halb Freiburg in den Süden gefahren zu sein (kluge Leute waren da bereits und sind längst wieder zu Hause ...), also ist jetzt die schönste Zeit, in den Wald zu gehen. Das Grün ist nach dem tagelangen Regen geradezu überfordernd für die Augen, und meine Lungen erschrecken fast, so viel reine Luft angeboten zu bekommen. Können sie die überhaupt noch bewältigen?

Lange nicht mehr hier gewesen. Wurde Zeit.



Dieses herrliche Alleinsein. Im Wald hat es eine andere Qualität als in der Wohnung. Es wird größer, umfassender, bekommt räumliche Qualität und übersteigt das Persönliche. Die Dinge des Waldes sind bei sich, und ich betrete ihren Seinsraum behutsam und respektvoll. Sie lassen mich gewähren (ich bin ihnen egal), und das ist mehr, als ich in irgendeiner Straße irgendeines Ortes je erlebe. Kein fremder Blick stört mich beim Schauen, ich darf einfach hier sein, ohne mich vorstellen oder meine Anwesenheit erklären zu müssen.





Aber Paradiese gibt es nur in der Literatur. Etwas bricht krachend aus dem hüfthohen Gebüsch. Ein Reh, ein Hase, wütendes Wildschwein, muss man wachsam sein? Ja, man muss: Ein Paar mit Stöcken stapft vorbei und mustert mich und mein Smartphone befremdet. Er wähnt sich außer Hörweite, als er zu ihr sagt: "Hier gibt`s doch nix zu fotografieren!"






Wieder allein in der Stille. Oben in den Wipfeln zarte Vogelrufe. Ein Junimorgen um halb neun. Ich möchte jetzt an keinem anderen Ort in der Welt sein.

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Samstag, 7. Juni 2025

Der geschmeidige Geist

 

Quelle: Wikipedia


Ich habe gelesen, dass bestimmte Spinnen-Arten ihre Netze grundsätzlich nur zwischen Gräser und leichte Äste hängen. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass ein zwischen feste Objekte gespanntes Netz im Wind leicht zerreißen kann, während ihre Netze im Wind elastisch mit den Gräsern schwingen. 

Auch unser Leben ist immer wieder einem manchmal heftigen Wind ausgesetzt. Wenn unser Geist sich dann an das Feste klammert in der Hoffnung, es würde ihm Sicherheit geben, kann er irritiert und auch tief gestört werden. Das Feste ist das Gewohnte, in dem wir uns eingerichtet haben, das, was uns vertraut ist. Die täglichen Abläufe im Alltag, die Handgriffe, die wir blind ausführen, die Menschen, an die wir gewöhnt sind. Aber auch unsere Meinungen, Überzeugungen und Urteile, die mindestens so starr sind wie eine Mauer, die kluge Spinnen meiden. Die Zeiten des großen Windes sind die gefährlichsten in unserem Leben. Nichts scheint mehr so zu sein, wie es war. Wir müssen einsehen: Mein Urteil über dies und jenes erweist sich als völlig falsch. Der Mensch, dem ich vertraut habe, hat mich betrogen. Die Diagnose, die mein Arzt mir mitteilt, stellt mein Leben auf den Kopf. 

Unsere alten Strategien funktionieren nicht mehr. Jetzt ist es für unsere körperliche und psychische Gesundheit wichtig, dass unser Geist geschmeidig mitschwingt mit dem Sturm. Auch wenn unser Netz, anders als das der Spinne, nie zerreißen kann.

Das Netz der Spinne ist ihr Zuhause, sie hat kein anderes. Es ist sichtbar für alle aufgespannt und deshalb so gefährdet. Unser Zuhause ist in uns selbst verborgen; so verborgen, dass viele Menschen es noch nie betreten haben. Wir können nur dann vertrauensvoll mit den Stürmen umgehen, wenn wir in uns zu Hause sind. Gerade in Zeiten des Umbruchs, in denen wir das Gefühl haben, uns werde der Boden unter den Füßen weggezogen, können wir die Lehre des Buddha konkret erfahren. Im "Sutra über die Unterweisungen für Kranke", das in buddhistischen Klöstern oft rezitiert wird, heißt es:

"Dieser Körper bin nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Körper.
Dieser Geist ist nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Geist."

In dem Sutra ist mit "Geist" der persönliche Geist gemeint, mit den Gedanken, die Gefühle auslösen, die wiederum Gedanken erzeugen. In Krisen-Situationen erkennen wir, dass er zwar ein großartiges Instrument ist, mit dem wir das Leben erfahren, es aber in uns eine tiefere, größere Weite gibt, die weder Geist noch Körper ist. Diese Tiefe nannte Thich Nhat Hanh "dein Wahres Selbst". 

Wir können uns immer wieder mit unserem Wahren Selbst verbinden, indem wir mitten im Alltag innehalten und bewusst ein- und ausatmen, ohne den Gedanken zu erlauben, sich einzumischen. In dieser Tiefe begegnen wir einer wunderbar warmen, heilsamen und beruhigenden Stille. Es ist, als würden wir heimkehren; wir haben das Gefühl: Ach, da bist du ja, wer oder was immer du bist. Dich habe ich so lange gesucht, und dabei warst du doch immer bei mir. So nah.

Während der Sturm uns durchschüttelt, bewegt sich unser Geist geschmeidig mit. Lässt los, was nicht zu halten ist, nimmt an, was immer da kommt. Wir aber sind geborgen in unserem Netz, das nie zerreißen kann. Unserem Wahren Selbst.

In meinem Retreat "Erwachend leben" im Juli im Intersein-Zentrum kannst Du mit mir das Thema vertiefen. Alle Informationen findest Du hier (klick).

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Sonntag, 1. Juni 2025

Van Gogh in der Provence

 

Mitte März 1888 kommt ein von seiner Kunst besessener, aber erfolgloser Maler in Arles an. Vincent van Gogh ist müde und kränkelt, er braucht Licht und Sonne, für seine Bilder wie für sich selbst. "Das ist die Sonne, die niemals in uns eingedrungen ist, uns aus dem Norden", schreibt er enthusiastisch an seinen Bruder Theo. Er mietet - von Theos Geld - vier Zimmer in einem Haus an der Place Lamartine, dem "Gelben Haus". Dort möchte er eine Künstlerkolonie einrichten; ein "Atelier des Südens", in dem sich Maler gegenseitig inspirieren und gleichberechtigt miteinander arbeiten und ausstellen sollen. Aber nur Paul Gauguin folgt nach langem Zögern der Einladung, kauft allerdings nach seiner Ankunft in Arles hoffnungsvoll gleich zwanzig Meter Jute. Die beiden beginnen zu malen. "Das gelbe Haus" wird eines der bekanntesten Bilder van Goghs werden, der das Motiv sehr schwer fand: "Gerade deshalb wollte ich es erobern. Weil es furchtbar ist, diese gelben Häuser in der Sonne, dazu die unvergleichliche Frische des Blaus."



Der Garten des Hospitals in Arles


Viele Bilder entstehen, man versucht sich an denselben Motiven, und die Ergebnisse sind spannend in ihrer Unterschiedlichkeit. Aber beide sind schwierige Charaktere. Das Zusammenleben ist geprägt von Streit und Eifersucht. Vincent erleidet einen Nervenzusammenbruch, und am 23. Dezember 1888 endet der Versuch des gemeinsamen Lebens und Arbeitens auf dramatische Weise: Vincent schneidet sich ein Ohr ab. Erst vor wenigen Jahren tauchten die Zeichnungen des behandelnden Arztes auf und beweisen, dass er sich tatsächlich das ganze Ohr und nicht nur das Ohrläppchen abgeschnitten hat. Mit dem Ohr geht er in ein Bordell und schenkt es einer Prostituierten mit den Worten "Du wirst dich meiner erinnern, das sag ich dir". 

Der Aufenthalt in gelben Haus sollte eigentlich nur eine Zwischenstation sein. Vincent van Gogh imaginierte einen "Garten der Dichter", in dem er mit Gauguin wie Petrarca und Bocaccio Seite an Seite arbeiten würde. Den Garten, in dem er sich am Weihnachtsabend des Jahres 1888 wiederfand, sollte er zwar malen, aber die Umstände waren nicht wie geplant: Er gehörte zum örtlichen Krankenhaus von Arles, in das die Polizei Vincent van Gogh nach seinem Nervenzusammenbruch einlieferte.



Saint Paul de Mausole, das heute eine Psychiatrie für Frauen ist


Im Mai 1889 weiß Vincent van Gogh, dass er Hilfe braucht, und begibt sich freiwillig in das Kloster Saint Paul de Mausole in Saint-Rémy-de-Provence, das zu jener Zeit eine psychiatrische Anstalt ist. Der Arzt der Anstalt diagnostiziert eine Epilepsie "mit schlechter Prognose". Anfangs darf er den Garten nicht verlassen, aber trotz der sicher nicht angenehmen Behandlungen, für die die Psychiatrie des 19. Jahrhunderts berüchtigt ist, gibt ihm die behütende Umgebung Halt: In seinem winzigen Krankenzimmer entstehen in dem einen Jahr, das er in Saint-Rémy verbringt, fast einhundertfünfzig Gemälde und zahlreiche Zeichnungen. Seine Mitpatienten interessieren sich nicht für den seltsamen Maler, und der Sohn des Klinik-Direktors hängt die bemalten Leinwände an den Baum und schießt begeistert mit Pfeil und Bogen auf die hübschen runden Sonnenblumen. 

An Theo schreibt Vincent, dass die Beobachtung der diversen "Verrücktheiten" seiner Mitpatienten ihn beruhige: "Ich habe gut daran getan, hierher zu kommen. Ich verliere dieses latente Grauen, die Furcht vor der Sache. Und nach und nach beginne ich die Verrücktheit als eine Krankheit wie jede andere zu sehen."





In Saint-Rémy, wie auch in Arles, sind überall Tafeln mit Bildern und Zitaten von van Gogh aufgestellt. Auf meiner kleinen Provence-Reise letzte Woche waren sie und die Geschichte dahinter das Bewegendste, das ich gesehen habe. Vincent van Gogh starb schließlich - da hatte er Saint-Rémy längst verlassen - an einer Kugel im Bauch. Niemand weiß, ob es Selbstmord war oder ob spielende Jungen die Pistole abgefeuert hatten (denn Vincent besaß keine). 

Aber was für ein wunderbares Werk hat dieser Künstler geschaffen, trotz seiner Krankheit. Sein Geist und sein Blick haben sich einfach erhoben über die körperlichen und irdischen Schwierigkeiten der Person. Das macht Mut. Und die geistige und spirituelle Kraft, mit der er seine Bilder gemalt hat, strahlt auf uns, die wir sie irgendwo in einem Land der Welt in einem Museum sehen dürfen, aus. 

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