Freitag, 14. Januar 2022

Krähenzeit


Eine Krähe war mit mir
aus der Stadt gezogen,
ist bis heute für und für
um mein Haupt geflogen.

("Die Krähe" aus der Winterreise von Franz Schubert)

Schwarz und scharf wie Scherenschnitte steigen sie in den Himmel, das einzig Klare im diffusen Grauweiß des Nebels. Die Januar-Äcker gehören ihnen, sie plündern die Schollen, pflügen sie um auf der Suche nach vergessenen Früchten, stürzen sich auf die letzten verfaulenden Äpfel am Rain. Corvidae. Die Krähenvögel.

 


Wegelagerer. Sie fleddern leichtsinnig am Straßenrand abgestellte Müllsäcke und leeren in Windeseile die Papierkörbe im Park. Hocken hordenweise in den Bäumen der Vorgärten, ihr heiseres Krächzen begleitet den Tag hier draußen. Januar ist Krähenzeit. Wir finden keine Beziehung zu den schwarzen Riesen und können kaum glauben, dass sie, wie die Raben, die intelligentesten Vögel sind. An der University of Washington haben Forscher, streng experimentell, sich Masken übergezogen und Krähen angegriffen. Nach zwei Wochen hatte die gesamte Großfamilie der Krähen begriffen, dass sich hinter der Maske ein Feind verbarg, und das Wissen wurde gleich über das morphogenetische Feld an die Nachkommenschaft vermittelt, die ebenfalls auf die Maske reagierte, obwohl sie ihr vorher nie begegnet war.



Ich gehe die Wege zwischen den Feldern hindurch, auf denen sie ihre Beute reißen, zu Dutzenden, zu Hunderten, sie lassen mich auf wenige Meter herankommen, und erst, wenn sie es für unumgänglich halten, wenn der genetisch verankerte Alarm ausgelöst wird, Achtung, Bewegung naht, steigen sie auf, kollektiv, alle gleichzeitig, der Nebelhimmel füllt sich mit ihrem schwarzen Geflatter, aber hinter meinem Rücken lassen sie sich sofort erneut auf den Schollen nieder, krächzend, rufend, zupfend, rupfend.

Krähe, wunderliches Tier,
willst mich nicht verlassen?

 

1 Kommentar:

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