"Wir leben in einem ewigen Jetzt, und wenn wir uns Musik anhören, dann hören wir nicht auf Vergangenes, wir hören nicht auf Zukünftiges, sondern wir hören auf Gegenwärtiges, das sich vor uns entfaltet. Genau wie wir ein Gesichtsfeld haben, das sich in die Breite und die Ferne erstreckt, so ist auch der gegenwärtige Augenblick nicht bloß ein Haarstrich auf der Zeitlinie, die die Uhr misst. Der gegenwärtige Augenblick ist ein Erfahrungsfeld, das sehr viel mehr als ein bloßer Augenblick ist. Eine Melodie hören, heißt auch die Intervalle zwischen den Tönen hören. Innerhalb des gegenwärtigen Augenblicks können wir Intervalle hören und Rhythmen sehen. So können wir innerhalb jedes Augenblicks spüren, dass sich etwas Kontinuierliches abspielt.
Wenn ich vom ewigen Jetzt spreche, dann ist das nicht zu verwechseln mit dem Bruchteil einer Sekunde. Das ewige Jetzt ist geräumig, leicht und reich, aber auch leichtsinnig! Jesus sprach tatsächlich vom Leichtsinn: "Seht die Lilien des Feldes, wie sie wachsen. Sie graben nicht, sie spinnen nicht, und doch war Salomo in all seiner Pracht nicht gekleidet wie eine von ihnen." Damit soll gesagt werden: Sorgt nicht ängstlich für das Morgen, sondern gönnt euch ein wenig Leichtsinn.
Es gibt einen göttlichen Leichtsinn. Die Liebe, die die Sonne und die anderen Sterne bewegt, ist Leichtsinn. Daher könnte man von Gott sagen, er sei ernsthaft, aber nicht ernst."
Alan Watts (1915 - 1973), Philosoph, anglikanischer Priester, Professor und einer der großen Interpreten östlicher Philosophie
(Aus seinem Buch "Leben ist jetzt", Herder Spektrum)
Die Kalligraphie ist von Thich Nhât Hanh