In der Online-Meditation gestern haben wir uns mit dem Gatha von Thay befasst, das ihr sicher alle kennt: Ich bin angekommen, ich bin zu Hause.
Das sich fremd Fühlen ist eine Urerfahrung des Menschen. Als ich 1992 das erste Mal in Plum Village war, lebten dort noch zahlreiche Boat People im Exil. Sie hatten sich ein kleines Vietnam erschaffen, mit ihren gewohnten Bräuchen, Ritualen und einem Garten, in dem sie die Kräuter und Gemüse ihrer Heimat angebaut hatten. Sie blieben mehr oder weniger unter sich, und wenn ich mit jemandem ins Gespräch kam, hörte ich von Sehnsucht nach Vietnam und tiefer Trauer. Auch Thay selbst thematisierte hin und wieder seinen Schmerz. Die Atmosphäre, die ich damals dort spürte, kannte ich, denn ich bin mit einer Mutter aufgewachsen, die aus Frankfurt an der Oder geflohen war, nachdem Bomben ihre schöne Eigentumswohnung vernichtet hatten. Sie landete in Bayern, wo alles für sie fremd war: der Dialekt, die Religion, das Essen, die Art der Menschen. Sie lebte dort bis zum Tod, aber es wurde nicht ihr Zuhause. Man kann sagen: Sie ist an ihrem Ort nie angekommen.
Rilke schenkt uns in seinem Gedicht "An Hölderlin" ein Bild für das Gefühl des Unbehaustseins: Ungeborgen ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, Steingrund unter den Händen.
Das Christentum hat seine Antwort auf das Unbehaustsein. Es gibt ein Kirchenlied von Paul Gerhardt: "Wir sind nur Gast auf Erden". Dort, wo man Gast ist, ist man nicht zu Hause. Unser Zuhause, sagt das Christentum, erwarte uns nach dem Tod: der "Himmel", wie immer wir ihn uns vorstellen. Aber das ist nicht die Auffassung des Zen, für das es kein "Jenseits" gibt. Oder, besser gesagt: Das Jenseits ist im Hier und Jetzt enthalten.
Um das zu verstehen, müssen wir uns von der Vorstellung des Zuhauses als einem Ort verabschieden.
"Listen, listen, this wonderful sound brings me back to my true home", heißt es in der Glocken-Meditation der Intersein-Schule. Was ist das wahre Zuhause, in das wir auf der Frequenz des Glockenklangs durch bloßes Lauschen eintreten können? Wir sind uns zumeist nur unseres persönlichen Geistes bewusst, der uns hilft, unseren Alltag zu meistern durch Planen, Erinnern, Urteilen, Abwägen, Entscheiden. Dieser Geist ist hilfreich, aber sehr begrenzt; er gehört der historischen Dimension an. Gleichzeitig jedoch ist er Teil des großen universellen Geistes und kann ihn berühren.
Sobald wir in den universellen Geistes eintreten - vielleicht, indem wir einer Glocke oder einem Vogel lauschen, einen Sonnenuntergang betrachten, einer Sinfonie zuhören -, sind wir nicht mehr begrenzt auf unser persönliches Schicksal. Wir spüren Weite um uns und fühlen uns verbunden mit allem, was ist. Wann aber tun wir das, wenn nicht immer nur im Jetzt? Es gibt nur diesen Augenblick, es kann nie eine andere Zeit geben. Deshalb kommen wir in jedem Augenblick an (in welcher Zeit sonst könnten wir ankommen?), deshalb sind wir in diesem Augenblick (wo sonst?) zu Hause. Unser wahres Zuhause ist kein Ort, sondern dieser Augenblick.
Vielleicht erkennen wir dann, dass das scheinbar Verlorene aufgehoben
ist im Ganzen, dass aus ihm Neues entstanden ist wie aus einer
abgestorbenen Pflanze. Und wir sehen, dass wir nicht alleine sind, wir
bewegen uns in einer Gemeinschaft von Menschen, die, wie wir, das Gefühl
des Fremdseins kennen und es, einfach durch ihre Anwesenheit, in ein Gefühl der Verbundenheit verwandeln. Und so endet das Gedicht von Rilke auch mit diesem Bild: "... immer wieder gehn wir zu zweien hinaus unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel."