Mittwoch, 22. Oktober 2025

Zug wo? Ich mach!


 
Mai 2025, Fahrt nach Salzburg zum Retreat. Ich habe einen schönen Zug ausgesucht, 9.30 Uhr ab Freiburg, umsteigen in Stuttgart, dann gemütlich bis Salzburg. Nach dem geruhsamen Frühstück schaue ich mal vorsichtshalber auf meine DB-App und erfahre "Ihr Zug fällt aus." Gesendet um 2 Uhr nachts. Da schläft die Seminarleiterin, sie muss ja um 18 Uhr ausgeschlafen am Zielort sein.
 
Ich sause zur S-Bahn und steige am Hauptbahnhof in den nächstbesten Zug in Richtung Norden. Es ist ein ICE nach Hamburg; meine App empfiehlt mir, in Frankfurt in den Zug nach München umzusteigen. Der Zugbegleiter sieht das anders und empfiehlt den Umstieg in Mannheim: "Es könnte sein, dass Sie Ihren Anschlusszug in München sonst nicht erreichen". Es ist fünf Minuten vor dem Einlaufen in den Mannheimer Bahnhof und die Umstiegszeit beträgt vier Minuten von Gleis 2 auf, soweit ich mich erinnere, Gleis 6. Der junge Zugbegleiter findet das völlig ausreichend: "Das schaffen Sie!"
 
Soll ich? Soll ich nicht?
 
Ich wage es, stürze aus dem Zug und renne auf die Treppe zu. Dort steht ein etwa dreißigjähriger, nicht-deutsch aussehender Mann, der in Windeseile begreift, was hier auf dem Spiel steht. Er packt meinen Koffer und ruft: "Zug wo? Ich mach!", und gemeinsam rasen wir die eine Treppe hinunter, durch den unterirdischen Gang hindurch zur anderen Treppe und hinauf auf Gleis 6, wo der Zugbegleiter des ICE gerade seinen linken Fuß einziehen will, um den Knopf zu drücken, der die Türen schließen wird. Und jetzt geschieht das Wunder, dass dieser Mann die Konstellation junger rennender Araber mit Koffer und alte hinterherrennende Frau sofort korrekt interpretiert und - ein Bein auf dem Bahnsteig, eins auf der Zugtreppe - die Abfahrt so lange verzögert, bis der Koffer samt Frau im Zug ist.  

Juli 2025, Busfahrt vom Intersein-Zentrum nach Passau. Ziemlich großer Koffer, zwei hohe Stufen in den Bus, man kennt das. Zwischen den anderen zusteigenden Passagieren, die gelangweilt auf ihren Handys herumtippen, steht ein junger, nicht-deutsch aussehender Mann. Er greift, ohne nachzufragen, nach meinem Koffer und wuchtet ihn hinein.

Ankunft Passau Hauptbahnhof. Ich habe eine Stunde Aufenthalt, bis mein Zug nach Frankfurt abfährt, und will irgendwo an der Straße einen Kaffee trinken. Das gelingt mir aber nicht, denn die Kombination alte Frau und Koffer erregt die Aufmerksamkeit eines älteren, nicht-deutsch aussehenden Mannes, der sofort den Koffer packt und auf die Treppe zurast. Ich rufe, nein!, nein! und merke, wie fatal missverständlich sich das anhört. Jetzt glaubt er sicher, ich misstraue ihm und habe Angst um meinen Koffer, aber er denkt nicht ängstlich um Ecken herum, sondern hat nur die arme Alte mit dem großen Koffer im Sinn, den sie, da doch jetzt er da ist, nicht mehr die sehr gemeinen Stufen zum Bahnhof hochschleppen muss. Enthusiastisch ruft er: "Ja, ja, ich mach!", und so finde ich mich in der Bahnhofshalle wieder, mit meinem sorgfältig vor mir abgestellten Koffer. Der Retter verschwindet in der Menge.

Ich vertraue ihnen bedingungslos. Seit sie bei uns sind, reise ich bequemer. Sie kommen aus Kulturen, in denen das Alter geehrt wird. Sie wurden zur Aufmerksamkeit erzogen; sie sehen, wenn jemand Hilfe braucht. Herr Merz, die meisten dieser Menschen sind kein Problem, sondern eine Bereicherung.  

 


Übrigens: das ist die neue Rolltreppe auf Gleis 1 im Hauptbahnhof in Freiburg. Ja, es ist ein Statement. Die Bundestagspräsidentin verbietet die Regenbogenflagge auf dem Dach des Reichstags in Berlin, Freiburg pinselt seine Rolltreppe an. Ich wohne gerne hier.

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Dienstag, 14. Oktober 2025

Scobel und der Perspektivwechsel

 


Habt ihr es schon bemerkt: Scobel ist zurück auf youtube. 3sat hatte seine fabelhaften Beiträge im Frühjahr eingestellt, aber er hat Sponsoren gefunden (ein Hoch auf alle Sponsoren ... 😉), und seine Beiträge erscheinen mir freier und frecher als früher. Was allerdings gleich geblieben ist, sind seine herrlich schrillen Hemden. Wie gut, ich hätte sie sehr vermisst.

Ganz hervorragend finde ich dieses Video über den Perspektivwechsel, in dem er uns mit Hilfe des Bildes vom Fliegenglas und der Philosophie von Wittgenstein (den man sofort lesen möchte) erklärt, wie wir uns in unsere Probleme verrennen, weil wir unsere Interpretationen der Welt für die einzig richtigen halten. Für uns Meditierende ist der Perspektivwechsel natürlich nichts Neues, das praktizieren wir ständig, und auch Gert Scobel verweist als Zen-Praktizierender ganz nebenbei auf die Meditation als Werkzeug zur Erkenntnis (wobei er einen eigenen Beitrag dazu ankündigt, wir sind gespannt). Aber es meditiert ja nicht jeder, deshalb lasst euch von Scobel erklären:

"Unsere Perspektive ist weder fest noch hat sie einen festen Boden. Was wir machen, ist, lose Fäden aufzunehmen, die weit über uns als Individuen herausreichen, die werden uns von anderen zugereicht. Und dann verknüpfen wir diese Fäden neu. Und diese Verknüpfung, das neue Muster, das wir dann sehen, hat keinen Grund in den Dingen selbst. Was sich ändert, sind wir."

Ja, Freundinnen und Freunde, so ist es.

Alle, bei denen das Video nicht angezeigt wird, finden es hier (klick). 

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Dienstag, 7. Oktober 2025

Elizabeth Strout "Das Leben natürlich"

 

Wer hier schon länger mitliest, weiß, wie sehr ich die Bücher von Elizabeth Strout liebe. Im öffentlichen Bücherregal habe ich zu meiner Freude jetzt einen ihrer frühen Romane entdeckt, den ich schon kannte, aber beim zweiten Lesen so gut fand wie beim ersten. Lasst euch nicht von dem nichtssagenden Titel abschrecken. Im Original heißt er "The Burgess Boys"; das wäre stimmiger gewesen, denn es geht um die Geschichte der Brüder Jim und Bobby Burgess in der Kleinstadt Shirley Falls in Maine (und ihrer Schwester Susan, die im Titel nicht vorkommt, was aber zu ihrer Rolle in dieser Familie passt).

Seit Bob mit vier Jahren die Handbremse am Auto gelöst und den Vater überfahren hat, ist in dieser Familie alles aus den Fugen geraten. Jim hat sich scheinbar frei gemacht vom Kleinstadtmief und den familiären Depressionen und ist ein Staranwalt in New York mit zwei Kindern und einer wohlhabenden Frau. Susan dagegen ist geschieden, hat einen sechzehnjährigen Sohn, der zum Autismus neigt, und kriegt ihr Leben nicht auf die Reihe. Das fragile Gefüge der Burgess-Kinder gerät ins Rutschen, als Zach, Susans Sohn, einen Schweinekopf in die Moschee der Somalier wirft (er hat keinen Schimmer, warum er das getan hat) und der Generalstaatsanwalt ihn wegen Verletzung der Bürgerrechte anklagt.

In diesem Rahmen nun entfaltet sich die Dynamik zwischen den Geschwistern, und Elizabeth Strout zeigt die Ambivalenz der Gefühle in Dialogen, die zwischen Sarkasmus, Zuneigung, Mitgefühl und Wut oszillieren. Jeder hat seine Meinung über den anderen, aber wenn es darauf ankommt, unterstützen sie einander bedingungslos. Jeder spielt immer noch die Rolle, die von ihm und ihr seit der Kindheit erwartet wird. Der Strahlende, der Schuldige, die Hässliche. Aber Rollen sind nicht die Wahrheit, und als Jim seinem Bruder etwas beichten muss, brechen alte Gewissheiten zusammen und machen Platz für eine ganz andere Zukunft.

Elizabeth Strout weiß: das Leben ist unvorhersehbar, unordentlich, oft schmerzhaft, aber manchmal auch so überraschend schön. Ihre Gestalten straucheln, verirren sich, treffen haarsträubende Entscheidungen und haben doch tief innen - obwohl es ihnen selten bewusst ist - eine große Liebe zum Leben und zueinander. Das alles erzählt Elizabeth Strout ohne Sentimentalität, voller Verständnis und Wärme. Ein schönes Buch für einen kalten Winterabend, zu lesen unter einer kuscheligen Decke auf dem Sofa.

(Werbung) Wenn ihr online bestellen wollt, empfehle ich euch den gemeinwohlbilanzierten sozialen Buchversand Buch7, der soziale, kulturelle und ökologische Projekte unterstützt. Ihr werdet schnell und versandkostenfrei beliefert und ich erhalte eine (sehr kleine) Provision dafür. "Das Leben natürlich" als Taschenbuch bestellen hier (klick).

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Donnerstag, 25. September 2025

Wie Meditation Räume eröffnet


 

"In der Meditationsschulung lernen wir, die Gedanken zu beobachten und uns nicht mit ihnen zu identifizieren. Von Gefühlen ist seltener die Rede, obwohl sie eine tiefgreifende Wirkung haben. Die Neurowissenschaft weiß, dass sich alles, was Menschen denken und fühlen, in körperlichen Strukturen abbildet. 'Das Gehirn macht aus Psychologie Biologie', schreibt der Wissenschaftler, Facharzt und Psychotherapeut Professor Dr. Joachim Bauer in 'Das Gedächtnis des Körpers'.

Gene formen die grobe Struktur des Gehirns, aber es sind die Lebenserfahrungen, die die Nervenverbindungen fein regulieren, und auf die Erfahrungen reagieren wir mit Gefühlen.

'Die neuro-anatomischen Feinstrukturen im Gehirn werden durch seelische Aktivität festgelegt. Nervenzellverbindungen entstehen durch sozial vermittelte Erfahrungen in der Umwelt, Nervenzellverbindungen geben diese Erfahrungen wieder bzw. enthalten sie', so Professor Bauer.

Beziehungserfahrungen also steuern unsere Gene. Und das geht weit über die Frage hinaus, in was für einer Familie wir leben. Da im Universum alles miteinander vernetzt ist, verändert jede Begegnung, jedes Gespräch, jeder Film und jede Lektüre auf subtile Weise das Gehirn."

Dies ist ein Ausschnitt aus meinem Beitrag "Wie Meditation Räume eröffnet" in der Ursache\Wirkung Nr. 128. Den ganzen Artikel kannst Du jetzt online lesen hier (klick).

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Freitag, 19. September 2025

Lesung "Das Paar"

 


Für den Podcast "Let's Talk Why" habe ich eine der Geschichten aus meinem Foto-Geschichten-Band "secret moments" erzählt. 

Wenn bei euch das Video nicht direkt angezeigt wird, findet ihr es hier (klick).

Dauer: 2 Minuten. Viel Freude beim Zuhören. 

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Donnerstag, 11. September 2025

Erhaltet die Lesekultur!

 

Sieht man schon von Weitem: unseren Bücherturm


Spoiler: Dies wird, aus gegebenem Anlass, ein einseitiger, parteiischer Beitrag zum Erhalt der Lesekultur. 

Ich lebe in einem hübschen Vorort von Freiburg, der eine eigenständige Gemeinde ist; Freunde von mir bezeichnen ihn als "Schlafstadt". Wir haben kein Kino, kein Theater, keinen Musiksaal, kein Schwimmbad. Aber wir haben eine fabelhafte Bücherei. Mit einem Bibliothekar, der sich auskennt und uns erlaubt, Anschaffungsvorschläge zu machen. Mit mir hat er in gewisser Weise Pech, denn auch ich kenne mich aus (und bekomme fast alle von mir vorgeschlagenen Bücher 😉). Dann sind da noch zwei sehr nette Damen, die im Mini-Job die Ausleihe managen. Die Bücherei ist hell und luftig, es gibt Sessel zum Verweilen, Magazine zum Lesen und Ausleihen, DVDs und eine Kaffee-Maschine. Für die Kinder Lesungen und Spiele-Nachmittage. Muss ich erwähnen, dass es meistens proppenvoll ist, mit Kleinen und Großen?

Ein Erfolgs-Modell, unsere Bücherei. Aber die Gemeinde hat, wie alle Kommunen, ein Geldproblem. Es fehlen jährlich anscheinend über zwei Millionen. Weil in der Gemeindeverwaltung niemand Erfahrung hat mit der Einsparung einer solch großen Summe, wurde ein externer Berater engagiert. Der schaute sich sämtliche Posten an, und wie Volkswirte das so tun, rein nach wirtschaftlichen Erwägungen. Er sprach die Empfehlung aus, die Kita-Gebühren zu erhöhen, die Zuschüsse für Vereine zu streichen und die Bücherei zu schließen.

Große Empörung auf allen Seiten. Wir Leserinnen und Leser waren die Ersten, die eine Petition starteten zum Erhalt der Bücherei. Ich war die sechste Unterzeichnerin, binnen drei Tagen waren es an die vierhundert. Die Kita-Eltern waren die nächsten; ihre Petition mit QR-Code hängt an allen Bushaltestellen. Ich kenne niemanden, der in einem Verein ist; dort wird es auf ähnliche Weise gären. 

Jetzt stelle ich überrascht fest, dass unsere kleine Lese-Oase Wut und Neid weckt. Mitgehörtes Gespräch zweier erregter Väter im Supermarkt: "Die sollen die Kita-Gebühren in Ruhe lassen und die Bücherei schließen!" Liebe Väter, eure Kita-Kinder kommen irgendwann ins Lese-Alter. Wenn ihr eine Leseratte zu Hause habt, wird das Kind euch arm lesen. Spätestens dann werdet ihr die Bücherei als Segen empfinden. Und habe ich nicht neulich erst gehört, dass die Kinder immer weniger Sprachkompetenz haben und Schulen sich den Kopf zerbrechen, wie man die Kleinen ans Lesen heranführen kann?

Oh doch, ich verstehe euch alle. Jeder von uns hat seine und ihre Prioritäten; wir möchten, dass alles so bleibt wie bisher (oder besser noch viel besser wird). Das wird aber in keinem Bereich funktionieren, also brauchen wir uns nicht gegenseitig in die Fördertöpfe zu spucken.

Bei einer der jetzt üblichen Diskussionen vor Ort schlug ich vor, die Benutzergebühren zu verdoppeln. Eine Frau, die vier Bücher im Arm hatte, schmollte: Das sei ihr zu teuer. Da würde sie austreten. Diese Frau zahlt jedes Jahr zehn Euro für unbegrenzte Lektüre, und falls sie eine Familie oder auch nur einen Ehemann hat, zahlen die alle zusammen ebenfalls nur zehn Euro. In meiner Kindheit kostete die Ausleihe jedes Buches zehn Pfennig, und weil ich lesesüchtig war und von meiner Mutter in der Woche nur dreißig Pfennig für die Bücherei bekam, wählte ich meine Bücher konsequent nach ihrer Dicke aus, egal, was drinstand. Wichtig war nur, dass ich nicht plötzlich am Wochenende ohne Lesestoff dasaß.

Wie viel ist uns der Erhalt unserer Kultur wert? Wissen wir die Angebote vor Ort noch zu schätzen? All die Bibliotheken, Museen, Konzertsäle, die samt und sonders subventioniert werden müssen, denn unsere Eintrittsgelder und Gebühren sind nicht mehr als ein symbolischer Beitrag. 

Inzwischen gibt es eine überarbeitete Version des ersten Vorschlags. Sie enthält die "Option 4" unter der Überschrift "Diese Maßnahmen wurden auf Grund ihrer Sensibilität unter der Prämisse der haushaltswirtschaftlichen Notwendigkeit geprüft": "Anpassung der Kita-Öffnungszeiten, Stilllegung Kühlzelle in zwei Leichen- und Trauerhallen und Reduzierung des Budgets der Bücherei um 20 %". 

Ich drängte den Bibliothekar, doch nun wirklich die Benutzergebühren zu erhöhen. Er schaute mich nachsichtig an. "Sie werden erhöht", sagte er. "Aber die Erhöhung kommt uns nicht zugute, die geht in den allgemeinen Schuldentopf."

Wer Bücher liest, ist kreativ. Der und dem fällt was ein. Die und der lässt sich nicht einfach so 20 % Lesefreude wegnehmen. Kommt nicht in Frage. Der kreative Vorschlag ist schon da: Wir gründen einen Freundeskreis mit Mitgliedsbeitrag und bieten Veranstaltungen an, deren Einnahmen wir der Bücherei spenden. 

Unserer Bücherei.

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Mittwoch, 3. September 2025

Zu Gast im Podcast "Let's Talk Why"

"Symbolbild": Diesmal saß ich nicht im Studio, aber das Equipment war ähnlich aufwendig.


Vor einem Jahr waren die Hosts des Podcasts "Let's Talk Why" - Alessandro Limentani und Christoph Engel - bei mir in Freiburg und haben mich zu meinem Schreiben und dem Zen befragt. Es war ein extrem heißer Augusttag in meiner Dachwohnung; nicht die erfrischendsten Bedingungen also. Ich bin ja keine Plauderin, und Schweigen ist meine liebste Daseinsform, aber dann habe ich doch mehr als eine Stunde lang so allerlei gesagt.

Vielleicht magst Du es Dir anhören? Es gibt vorher zwanzig Minuten eine Art Warm Up unter dem Titel "Behind the Mic", in dem wir uns in das Gespräch hineintasten. Auf youtube findest Du diesen Teil des Podcasts hier (klick).    Auf Spotify hier (klick).




Das Video führt Dich zu dem Gespräch selbst auf youtube. "Zwischen Sprache und Schweigen" haben es die beiden Hosts genannt. Für alle, bei denen die youtube-Videos nicht angezeigt werden: hier entlang (klick). Und auf Spotify findest Du das Gespräch hier (klick).

Ich hoffe, es macht Dir Spaß, uns zuzuhören. 

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Donnerstag, 28. August 2025

Jiddu Krishnamurti "Einbruch in die Freiheit"

 



Im Speisesaal des Intersein-Zentrums hängt seit Jahren an einer Säule ein handschriftlicher Zettel mit einem Zitat von Jiddu Krishnamurti: "Mein Geheimnis ist: Ich habe nichts gegen das, was geschieht." Das ist ein Lieblings-Satz von Helga Riedl. Bei meiner letzten Retreat-Gruppe erregte der Zettel auf einmal Aufmerksamkeit und wurde lebhaft diskutiert. Wie, ich soll nichts dagegen haben, dass Russland die Ukraine bombardiert, dass im Gaza-Streifen die Menschen verhungern? Das ist doch komplette Ignoranz, esoterisches Geschwafel, das ist Gleichgültigkeit gegenüber den brennenden Problemen in der Welt, gegen die wir etwas unternehmen müssen.

Nun führt ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat ja oft zu Missverständnissen. Ich weiß auch nicht, in welchem Kontext Krishnamurti das gesagt hat; allerdings habe ich zwei Jahre seine Sommerschule in Saanen in der Schweiz besucht und kenne ihn gut genug, um ein wenig Klarheit in die Aussage zu bringen. Krishnamurti war der revolutionärste, kompromissloseste Geist, dem ich je begegnet bin. Ich halte ihn bis heute für meinen wichtigsten, meinen eigentlichen Lehrer.

In allen spirituellen Schulungen - auch in der von Thich Nhat Hanh - steht vor dem Tun das Sein. Denn solange unsere Handlungen von einem aufgewühlten, unbefriedeten und konditionierten Geist gesteuert werden, der blind auf äußere Reize reagiert, tragen sie nicht zu Lösungen und zum Frieden des Ganzen bei. Da lesen wir morgens die Zeitung, schauen abends die Tagesschau, sehen Gewalt, Ungerechtigkeit, Katastrophen in jeder Form und auf jedem Gebiet und suchen empört dafür die Schuldigen im Außen. So bleibt das Geschehen auf der intellektuellen Ebene hängen, wo wir es in sicherer Distanz halten, und erreicht nicht unser Gefühl.

Krishnamurti machte dazu schon in den 1970er Jahren eine klare Aussage: "Jeder von uns ist für jeden Krieg verantwortlich, denn unser Leben ist voller Aggressivität; wir haben unseren Nationalismus, wir sind voller Selbstsucht, haben unsere Götter, unsere Vorurteile, unsere Ideale - und das alles trennt uns voneinander. Und nur, wenn wir klar erkennen - nicht intellektuell, sondern so wirklich, wie wir unseren Hunger oder unsere Schmerzen empfinden -, dass Sie und ich für das bestehende Chaos verantwortlich sind, für das Elend in der ganzen Welt - denn wir haben durch unser tägliches Leben dazu beigetragen und sind Teil dieser monströsen Gesellschaft mit ihren Kriegen, Einteilungen, ihrer Hässlichkeit, Brutalität und Gier -, nur dann werden wir wirklich handeln."

Erst wenn wir mit Bestürzung erkennen, wie gewalttätig wir selbst in Gedanken und Worten sind - am Küchentisch mit unseren Familien, im Kollegenkreis, in der Nachbarschaft -, erst dann beginnen wir zu ahnen, dass wir das Ganze falsch angegangen sind. Wir ziehen unsere Vorwürfe gegen "die da oben, das da draußen" total zurück. Wir sagen: "Ich habe nichts gegen das, was geschieht", weil wir wissen: Das wahre Problem ist mein eigener verwirrter und konditionierter Geist. Ich mache das Äußere nicht mehr verantwortlich für meine Wut, meine Aggression, meine Resignation - und auch nicht für mein Gefühl der Hilflosigkeit. Das ist der Sinn jeder spirituellen Schulung und alles andere als esoterisches Geschwafel: Es ist anspruchsvollste innere Arbeit, die nicht immer angenehm ist. 

Jiddu Krishnamurti sagte: "Jeden Tag sehen oder lesen wir von schrecklichen Dingen, die in der Welt als Auswirkungen menschlicher Gewalttätigkeit geschehen. Sie mögen sagen, 'Ich kann dagegen nichts tun' oder 'Wie kann ich die Welt beeinflussen'. Ich glaube, dass Sie die Welt ungeheuer beeinflussen können, wenn Sie innerlich nicht gewalttätig sind, wenn Sie täglich wirklich ein friedvolles Leben führen, ein Leben, das ohne Wettkampf, Ehrgeiz, Neid ist, ein Leben, das keine Feindschaft erzeugt. Kleine Flammen können zum lodernden Feuer werden."

Es ging Krishnamurti nie um ein bisschen "Achtsamkeit". Es ging ihm um das Erwachen zu unserem Wahren Wesen, um ein Leben, das radikal frei ist von allen Konditionierungen, Überzeugungen und Vorstellungen. Das Buch, aus dem ich zitiert habe, heißt "Einbruch in die Freiheit", und ich empfehle es allen, die das Denken von Krishnamurti kennenlernen wollen. Ein dünnes Taschenbuch, nicht teuer - und eigentlich braucht man nach dem Lesen kein weiteres Buch über Spiritualität. 


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Freitag, 22. August 2025

Wim Wenders


Ich gehe so gut wie nie ins Kino - aber die Filme von Wim Wenders habe ich alle gesehen. Denn Wim Wenders ist für mich eine große Inspiration - seine Bildsprache, der Einsatz des Lichts, die hinreißende Musik (Ry Cooder!), aber auch seine Persönlichkeit. Seine Aufrichtigkeit, seine Zurückhaltung, seine Genauigkeit sind das, was seine Filme prägt. Er schreibt vorab kein Drehbuch - er nimmt auf, was der Augenblick und seine Schauspieler ihm präsentieren und entwickelt es weiter. Deshalb ist jede Szene so lebendig. 

Jetzt, zu Ehren seines 80. Geburtstags, habe ich mich noch einmal durch die Beiträge über ihn in den Mediatheken geschaut. Zum ersten Mal ist mir aufgefallen, dass die Geschichten von Wenders nur von Männern handeln. Frauen kommen irgendwo am Rand vor; allerdings sind oft Kinder zu sehen. Dennoch sind mir diese schweigsamen, durch weite öde Landschaften gehenden Männer sehr nah. Ich sehe in ihnen nicht in erster Linie den "Mann", sondern eher den Archetyp des Wanderers und Suchers. 

Warum aber gibt es in Film und Literatur noch kein weibliches Pendant dazu? Kennt ihr so etwas - die schweigsame, autonome und ganz und gar selbstgenügsame Wanderin durch weite Landschaften? Schreibt gern einen Kommentar dazu.

Ich habe euch ein paar Links zusammengestellt. Im Sommernachtskino in Freiburg sitzen sie mit Regenjacke und Schirm, Schwimmbad und Tennisplatz sind keine Option, aber Wendersgucken geht.

Besonders empfehle ich euch die obige Dokumentation auf arte. Für alle, bei denen die Videos nicht eingebettet werden: hier (klick)

Es gibt auch eine längere Dokumentation in der ARD-Mediathek, "Desperado", die findet ihr hier (klick).

Vielleicht noch einmal den Film "'Paris, Texas" sehen? Hier (klick).

Oder "Der amerikanische Freund"? Hier (klick).

Aber doch sicher "Der Himmel über Berlin" mit Bruno Ganz als Engel, der so gerne ein Mensch werden möchte. "Der Himmel über Berlin" schauen hier (klick).

Wim Wenders sagte einmal, bei seinen Dokumentarfilmen fühle er sich freier, dort könne er machen, was er wolle. Ich empfehle "Das Salz der Erde" über den großartigen Fotografen Sebastiao Salgado hier (klick).

Mit den monumentalen Bildern des Malers Anselm Kiefer habe ich Probleme, und die haben sich eher noch verstärkt nach dem Ansehen der Dokumentation über ihn. Wie geht es euch mit Kiefer? "Das Rauschen der Zeit" könnt ihr sehen auf Arte hier (klick).

Sehr schön finde ich dagegen den Film über die Arbeit der Choreografin Pina Bausch hier (klick).

 


Kennt ihr den Video-Podcast "Hotel Matze"? Matze Hielscher führt mit seinen Gästen wirklich fundierte, tiefe Gespräche. Dennoch ist mir das Format immer zu lang: Irgendwann fängt jeder Gast nach meiner Meinung an zu schwafeln. Über zwei Stunden Wesentliches zu reden liegt nicht jedem. Es gibt nur zwei Gespräche, die ich bis zum Ende gehört habe - die mit Wim Wenders. Ich verlinke euch den zweiten Teil "Was bedeutet es, ein Künstler zu sein?", weil er im ersten Teil - den findet ihr auch auf youtube - ziemlich nervös ist. "Was bedeutet es, ein Künstler zu sein?" hier (klick).  

So, das ist inspirierender Stoff für die Augen, die Ohren, die Sinne und den Geist für viele Regentage.

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Freitag, 8. August 2025

Die Snack Bar der DB




Im Juli war ich wieder im Intersein-Zentrum. Die Fahrt ist immer, sagen wir mal: interessant. In diesen elf Stunden von Haus zu Haus begegnet mir so einiges, was mich dann längere Zeit bewegt.

Ich hatte eine neue Verbindung, die gut klang. S-Bahn bis Freiburg, ICE von Freiburg nach Karlsruhe, von dort im IC bis Nürnberg, dann ICE bis Passau, dann Bus. In Karlsruhe suchte ich den IC auf dem angegebenen Gleis, fand aber nur die Art Zug, mit der ich von meinem Vorort nach Freiburg gefahren war. Doch, doch, das sei der IC nach Nürnberg, sagte ein Bahnmitarbeiter am Gleis. Regionalverkehr eben. Er wunderte sich, dass ich mich wunderte.

Ich hatte einen Platz gebucht, der mir in dem Wagen reserviert worden war, in dem eine komplette Schulklasse von etwa Achtjährigen auf den Sitzen tobte. Der Rest des Zuges war nahezu leer. Meine erste Aktion war die Flucht. Ich machte es mir in Wagen zwei, hmm, gemütlich. Die Sitzabstände waren beklemmend und die Sitze nicht verstellbar. Die deutsche Bahn stärkt im Regionalverkehr ihren Reisenden das Rückgrat. In diesen Sitzen wird nicht gelümmelt, da zeigt man Haltung.

Abfahrt in Karlsruhe um 9.06 Uhr, Ankunft in Nürnberg um 12.30 Uhr. Dreieinhalb Stunden S-Bahn-Fahrt.

Ich hatte zwei gute Bücher dabei. Die erste Stunde verging, die Sitzabstände legen die Redewendung nahe, wie im Fluge. Dann knackte der Lautsprecher und verkündete Erstaunliches: "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."

Oha. Eine S-Bahn mit Luxus. Meine Wasserflasche war leer, und ich machte mich auf den Weg zu Wagen sechs. Passierte diverse Kofferrampen, es ging auf und ab, ich wurde hin und her geworfen. In den Wagen, die ich durchquerte, waren ein paar Reisende in großen Abständen hingetupft. Sie sahen mir erstaunt nach. Offenbar hatten sie keinen Wunsch nach Luxus, sie wollten einfach nur ankommen. 

Die letzte Kofferrampe hinauf, Wagen sechs öffnete sich vor mir. An der Wand lehnte eine Mitarbeiterin der Bahn und wischte auf ihrem Handy herum. Als sie mich sah, steckte sie es hastig ein und strahlte mich an. Eine Kundin! Tatsächlich, eine Kundin. Zu ihren Füßen stand einer jener kleinen Einkaufskörbe aus dem Supermarkt, die man sich schnappt, wenn man kurz vor Ladenschluss noch etwas zum Abendessen einkaufen will. In dem Korb befanden sich ein paar Müsliriegel, Chipstüten, ein Apfel und eine winzige Packung Pralinen. Gemeinsam sahen wir auf das Angebot hinab.

"Das ist die Snack Bar?" fragte ich.

"Ja, heute haben wir leider nur eine kleine Auswahl", sagte die Frau hastig und versuchte ein erneutes Strahlen. "Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?"

Im Hintergrund, auf einer Art Wandbord, stand eine Warmhaltekanne mit einem mindestens zwei Stunden alten Kaffee.

"Haben Sie auch etwas Kühles zu trinken?" fragte ich.

"Oh, ja!" rief sie. "Was wollen Sie? Alkoholisch? Nicht alkoholisch?"

Sie schloss eine Wandtäfelung auf, und dort, wo ich in Zügen immer irgendwelche Technik vermutet hatte, kam ein Kühlschrank zum Vorschein. Sie pries mir jede Flasche einzeln an, wahrscheinlich war mein Besuch die einzige Abwechslung, die sie bis Nürnberg erwartete. 

Mit meiner Apfelschorle taumelte ich zurück in Wagen zwei. Die Frau hatte mir noch einen umweltschädigenden Pappbecher aufgedrängt, den ich genommen hatte, weil ich ihr eine Freude machen wollte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn haben keinen leichten Job. Diese tat mir besonders leid.

Ich versenkte mich erneut in mein Buch. Kurz vor Crailsheim knackte der Lautsprecher. "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."

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