Montag, 30. Juni 2025

Abends am Teich

 

Es ist Abend, der Tag erwacht.

Es war, als hätte er seit dem Morgen den Atem angehalten. Ermattet ließ er sich von den Stunden durchziehen und schenkte uns keinen Hauch. 

Jetzt atmet er aus. 



Kleine vielbeinige Wesen erwachen im Gras. Ein Fisch springt aus dem Wasser. Etwas gestreift Geflügeltes summt, etwas samtig Dunkelbraunes brummt.  

Am Ufersaum steht unbeweglich eine Taube, die roten Füße im Wasser. Sie bückt sich und trinkt. Blickt sich um. Trinkt. Sie hat die Oase gefunden, spät am Tag, aber rechtzeitig vor dem Schlafengehen. Endlich herrlich kühle Füße. Hier wird sie so schnell nicht weggehen. Sie blickt. Sie trinkt.

Die Libellen üben Tiefflüge. 


 

In den Bäumen erwachen die Wesen der Nacht. Ein Ruf weht über das Tal, als blase jemand in ein Holzrohr, das keine Klanglöcher hat. Ein trockener, hohler Ton ohne Nachschwingen. Von der anderen Seite des Tales kommt die Antwort. Trocken, hohl. 

All dies Rufen, Brummen und Summen ist die Stimme der Stille in den Dingen der Natur. Wenn sie ganz bei sich sind, am Abend und frühen Morgen, kann man sie hören, wenn man im Schweigen geübt ist. 

Die Erde rollt sich in eine weitere heiße Nacht. 

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Mittwoch, 25. Juni 2025

Retreat im Intersein-Zentrum

 


Wir leben in einer herausfordernden Zeit, in der die alten Lösungen und Ideen nicht mehr funktionieren. Das Wohlergehen unserer Gesellschaft und unseres Planeten hängt von der tiefgreifenden Bewusstseins-Veränderung jedes Einzelnen ab. Wir müssen unsere Verbundenheit mit dem großen Ganzen erkennen und danach handeln.

Das gelingt uns, wenn wir uns wieder mit der Quelle allen Seins verbinden, die im Lauf der Zeit viele Namen bekommen hat: der Ursprung, das Bewusstseinsfeld, das Wahre Selbst und, der Name aller Namen, Gott. Die Erfahrung dieser anderen Ebene ist keineswegs nur besonders spirituell begabten Menschen, den „Mystikern“, vorbehalten. Wir müssen auch nicht Jahre in formaler Meditation verbringen. Der sanfte Weg der Bewusstseins-Veränderung besteht darin, mitten im Alltag erwachend zu leben.

In diesem Retreat wollen wir erkunden, wie wir unser Wahres Selbst berühren können. Spirituelle Erfahrungen sind oft subtil und gehen schnell vorüber, wenn wir sie nicht erkennen und bewusst wertschätzen. Indem wir Inseln der Stille in unserem Alltag erschaffen und immer wieder in den gegenwärtigen Augenblick zurückkehren, öffnen wir den geistigen Raum, in dem sie sich zeigen können. Dann leben wir erwachend, also in innerer Freiheit und erfüllt von Mitgefühl und Freude.

Wir werden die Tage weitgehend in Stille verbringen mit Sitz- und Gehmeditation (auch im Wald), kurze Vorträge hören und uns in Rundgesprächen austauschen.

Erwachend leben

19. bis 23. Juli 2025

Intersein-Zentrum, Hohenau

Ich würde mich sehr freuen, Dich dort zu treffen. Anmelden kannst Du Dich hier (klick).

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Samstag, 21. Juni 2025

Rhythmus in meinem Leben

 


Die Wissenschafts-Journalistin Dr. Ulrike Gebhardt interessiert sich für das Thema Rhythmus. Sie schreibt darüber in dem interessanten Blog "Taktvoll" hier (klick). 

Ab und an befragt sie Menschen nach ihren eigenen Rhythmen und wie sie diese leben. Sie hat auch mich eingeladen, die Fragen in ihrem Fragebogen zu beantworten, über die nachzudenken sich für jede/n lohnt. Habe ich gern gemacht. 

Wenn ihr Lust habt, schaut ihn euch an hier (klick).

Ihr erfahrt ein paar Dinge über mich, die ihr mich sicher nie gefragt hättet. 😊

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Mittwoch, 18. Juni 2025

Richard Pousette-Dart "Poesie des Lichts"

 

Feier der Geburt 1975/76


"Jedes lebendige Kunstwerk ... enthält einen inneren Kern, der mit Erklärungen, Definitionen und Untersuchungen nicht erreicht werden kann. Der Kern bleibt jenseits von all dem. Es ist dieses lebendige Etwas, das Kunst mystisch macht und wirklich." (Richard Pousette-Dart)

Richard Pousette-Dart brach sein Studium am renommierten Bard College ab, um seinen eigenen Weg zu gehen. Im Jahr 1941 - er war gerade 24 Jahre alt - erhielt er seine erste Einzelausstellung und wurde rasch, wie das im Kunstbetrieb so üblich ist, eingeordnet, in seinem Fall in die Generation der Abstrakten Expressionisten. Pousette-Dart aber lehnte jede Einordnung ab. Er lebte zurückgezogen, las Mystiker wie Jakob Böhme, auch Laotse und Daisetz Teitaro Suzuki und widmete sich den universellen spirituellen Symbolen Kreis, Spirale, Kreuz und Welle. Er wollte in seiner Kunst etwas erkunden, das er "Präsenz" nannte. Was macht ein Kunstwerk lebendig - und was geschieht zwischen dem Betrachter und dem Werk?




Byzantinische Kapelle


Im Museum Frieder Burda in Baden-Baden ist jetzt - dreiundzwanzig Jahre nach dem Tod des Künstlers - die erste Retrospektive seines Werks außerhalb der USA zu sehen, die zu Recht den Titel trägt "Poesie des Lichts". Vor den riesigen Leinwänden zu stehen ist überwältigend. Alles flirrt, tanzt, jedes Partikel scheint sich zu bewegen. Pousette-Dart hat bis zu dreißig verschiedene Farbschichten aufgetragen und teilweise wieder weggekratzt. Das Tryptichon "Byzantinische Kapelle" scheint aus winzigen Mosaiksteinen zusammengesetzt zu sein, aber es ist ein Gemälde. Von Weitem betrachtet, fällt hier das Licht durch blaue Kirchenfenster. Erst wenn man nahe herantritt, sieht man die feinen Grün- und Rottöne, die durch das Blau hindurchschimmern, und die pastos aufgetragene Farbe verändert das Bild je nach Lichteinfall.



Detail aus der "Byzantinischen Kapelle"


"Kunst ist Magie, sie ist Freude, mit Gärten voller Überraschungen und Wunder. Kunst ist Energie, Impuls, sie ist Frage und Antwort. Sie ist transzendentale Vernunft. Sie ist ihrem Geist nach ganzheitlich." (Richard Pousette-Dart)

In seinem sehr guten Essay im Begleitheft zur Ausstellung sagt der Schriftsteller Daniel Schreiber: "Bilder, die mit allen Dimensionen des Lichts spielen, mit seiner emotionalen und psychischen Wirkung, mit seiner irisierenden Reflexionsfähigkeit, mit seinem Schimmern, seinem Glanz und seinem Strahlen, mit seiner Fähigkeit, ungeahnte Energien freizusetzen. Es sind sphärische Harmonien, die so emotional sind, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Es sind Bilder, in denen man sich verliert."

Die Freude des Malers beim Malen strahlt aus jedem Bild. Ich konnte mich nicht sattsehen an diesem Leuchten und Flirren, und als meine Freundin und ich nach Stunden die Ausstellung verließen, waren wir einfach nur glücklich.



Das Prächtige 1950/51


Die Ausstellung ist bis zum 14. September 2025 im Museum Frieder Burda in Baden-Baden zu sehen. Unbedingt ansehen! Informationen hier (klick).

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Freitag, 13. Juni 2025

Morgens im Wald

 


An Pfingsten scheint halb Freiburg in den Süden gefahren zu sein (kluge Leute waren da bereits und sind längst wieder zu Hause ...), also ist jetzt die schönste Zeit, in den Wald zu gehen. Das Grün ist nach dem tagelangen Regen geradezu überfordernd für die Augen, und meine Lungen erschrecken fast, so viel reine Luft angeboten zu bekommen. Können sie die überhaupt noch bewältigen?

Lange nicht mehr hier gewesen. Wurde Zeit.



Dieses herrliche Alleinsein. Im Wald hat es eine andere Qualität als in der Wohnung. Es wird größer, umfassender, bekommt räumliche Qualität und übersteigt das Persönliche. Die Dinge des Waldes sind bei sich, und ich betrete ihren Seinsraum behutsam und respektvoll. Sie lassen mich gewähren (ich bin ihnen egal), und das ist mehr, als ich in irgendeiner Straße irgendeines Ortes je erlebe. Kein fremder Blick stört mich beim Schauen, ich darf einfach hier sein, ohne mich vorstellen oder meine Anwesenheit erklären zu müssen.





Aber Paradiese gibt es nur in der Literatur. Etwas bricht krachend aus dem hüfthohen Gebüsch. Ein Reh, ein Hase, wütendes Wildschwein, muss man wachsam sein? Ja, man muss: Ein Paar mit Stöcken stapft vorbei und mustert mich und mein Smartphone befremdet. Er wähnt sich außer Hörweite, als er zu ihr sagt: "Hier gibt`s doch nix zu fotografieren!"






Wieder allein in der Stille. Oben in den Wipfeln zarte Vogelrufe. Ein Junimorgen um halb neun. Ich möchte jetzt an keinem anderen Ort in der Welt sein.

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Samstag, 7. Juni 2025

Der geschmeidige Geist

 

Quelle: Wikipedia


Ich habe gelesen, dass bestimmte Spinnen-Arten ihre Netze grundsätzlich nur zwischen Gräser und leichte Äste hängen. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass ein zwischen feste Objekte gespanntes Netz im Wind leicht zerreißen kann, während ihre Netze im Wind elastisch mit den Gräsern schwingen. 

Auch unser Leben ist immer wieder einem manchmal heftigen Wind ausgesetzt. Wenn unser Geist sich dann an das Feste klammert in der Hoffnung, es würde ihm Sicherheit geben, kann er irritiert und auch tief gestört werden. Das Feste ist das Gewohnte, in dem wir uns eingerichtet haben, das, was uns vertraut ist. Die täglichen Abläufe im Alltag, die Handgriffe, die wir blind ausführen, die Menschen, an die wir gewöhnt sind. Aber auch unsere Meinungen, Überzeugungen und Urteile, die mindestens so starr sind wie eine Mauer, die kluge Spinnen meiden. Die Zeiten des großen Windes sind die gefährlichsten in unserem Leben. Nichts scheint mehr so zu sein, wie es war. Wir müssen einsehen: Mein Urteil über dies und jenes erweist sich als völlig falsch. Der Mensch, dem ich vertraut habe, hat mich betrogen. Die Diagnose, die mein Arzt mir mitteilt, stellt mein Leben auf den Kopf. 

Unsere alten Strategien funktionieren nicht mehr. Jetzt ist es für unsere körperliche und psychische Gesundheit wichtig, dass unser Geist geschmeidig mitschwingt mit dem Sturm. Auch wenn unser Netz, anders als das der Spinne, nie zerreißen kann.

Das Netz der Spinne ist ihr Zuhause, sie hat kein anderes. Es ist sichtbar für alle aufgespannt und deshalb so gefährdet. Unser Zuhause ist in uns selbst verborgen; so verborgen, dass viele Menschen es noch nie betreten haben. Wir können nur dann vertrauensvoll mit den Stürmen umgehen, wenn wir in uns zu Hause sind. Gerade in Zeiten des Umbruchs, in denen wir das Gefühl haben, uns werde der Boden unter den Füßen weggezogen, können wir die Lehre des Buddha konkret erfahren. Im "Sutra über die Unterweisungen für Kranke", das in buddhistischen Klöstern oft rezitiert wird, heißt es:

"Dieser Körper bin nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Körper.
Dieser Geist ist nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Geist."

In dem Sutra ist mit "Geist" der persönliche Geist gemeint, mit den Gedanken, die Gefühle auslösen, die wiederum Gedanken erzeugen. In Krisen-Situationen erkennen wir, dass er zwar ein großartiges Instrument ist, mit dem wir das Leben erfahren, es aber in uns eine tiefere, größere Weite gibt, die weder Geist noch Körper ist. Diese Tiefe nannte Thich Nhat Hanh "dein Wahres Selbst". 

Wir können uns immer wieder mit unserem Wahren Selbst verbinden, indem wir mitten im Alltag innehalten und bewusst ein- und ausatmen, ohne den Gedanken zu erlauben, sich einzumischen. In dieser Tiefe begegnen wir einer wunderbar warmen, heilsamen und beruhigenden Stille. Es ist, als würden wir heimkehren; wir haben das Gefühl: Ach, da bist du ja, wer oder was immer du bist. Dich habe ich so lange gesucht, und dabei warst du doch immer bei mir. So nah.

Während der Sturm uns durchschüttelt, bewegt sich unser Geist geschmeidig mit. Lässt los, was nicht zu halten ist, nimmt an, was immer da kommt. Wir aber sind geborgen in unserem Netz, das nie zerreißen kann. Unserem Wahren Selbst.

In meinem Retreat "Erwachend leben" im Juli im Intersein-Zentrum kannst Du mit mir das Thema vertiefen. Alle Informationen findest Du hier (klick).

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Sonntag, 1. Juni 2025

Van Gogh in der Provence

 

Mitte März 1888 kommt ein von seiner Kunst besessener, aber erfolgloser Maler in Arles an. Vincent van Gogh ist müde und kränkelt, er braucht Licht und Sonne, für seine Bilder wie für sich selbst. "Das ist die Sonne, die niemals in uns eingedrungen ist, uns aus dem Norden", schreibt er enthusiastisch an seinen Bruder Theo. Er mietet - von Theos Geld - vier Zimmer in einem Haus an der Place Lamartine, dem "Gelben Haus". Dort möchte er eine Künstlerkolonie einrichten; ein "Atelier des Südens", in dem sich Maler gegenseitig inspirieren und gleichberechtigt miteinander arbeiten und ausstellen sollen. Aber nur Paul Gauguin folgt nach langem Zögern der Einladung, kauft allerdings nach seiner Ankunft in Arles hoffnungsvoll gleich zwanzig Meter Jute. Die beiden beginnen zu malen. "Das gelbe Haus" wird eines der bekanntesten Bilder van Goghs werden, der das Motiv sehr schwer fand: "Gerade deshalb wollte ich es erobern. Weil es furchtbar ist, diese gelben Häuser in der Sonne, dazu die unvergleichliche Frische des Blaus."



Der Garten des Hospitals in Arles


Viele Bilder entstehen, man versucht sich an denselben Motiven, und die Ergebnisse sind spannend in ihrer Unterschiedlichkeit. Aber beide sind schwierige Charaktere. Das Zusammenleben ist geprägt von Streit und Eifersucht. Vincent erleidet einen Nervenzusammenbruch, und am 23. Dezember 1888 endet der Versuch des gemeinsamen Lebens und Arbeitens auf dramatische Weise: Vincent schneidet sich ein Ohr ab. Erst vor wenigen Jahren tauchten die Zeichnungen des behandelnden Arztes auf und beweisen, dass er sich tatsächlich das ganze Ohr und nicht nur das Ohrläppchen abgeschnitten hat. Mit dem Ohr geht er in ein Bordell und schenkt es einer Prostituierten mit den Worten "Du wirst dich meiner erinnern, das sag ich dir". 

Der Aufenthalt in gelben Haus sollte eigentlich nur eine Zwischenstation sein. Vincent van Gogh imaginierte einen "Garten der Dichter", in dem er mit Gauguin wie Petrarca und Bocaccio Seite an Seite arbeiten würde. Den Garten, in dem er sich am Weihnachtsabend des Jahres 1888 wiederfand, sollte er zwar malen, aber die Umstände waren nicht wie geplant: Er gehörte zum örtlichen Krankenhaus von Arles, in das die Polizei Vincent van Gogh nach seinem Nervenzusammenbruch einlieferte.



Saint Paul de Mausole, das heute eine Psychiatrie für Frauen ist


Im Mai 1889 weiß Vincent van Gogh, dass er Hilfe braucht, und begibt sich freiwillig in das Kloster Saint Paul de Mausole in Saint-Rémy-de-Provence, das zu jener Zeit eine psychiatrische Anstalt ist. Der Arzt der Anstalt diagnostiziert eine Epilepsie "mit schlechter Prognose". Anfangs darf er den Garten nicht verlassen, aber trotz der sicher nicht angenehmen Behandlungen, für die die Psychiatrie des 19. Jahrhunderts berüchtigt ist, gibt ihm die behütende Umgebung Halt: In seinem winzigen Krankenzimmer entstehen in dem einen Jahr, das er in Saint-Rémy verbringt, fast einhundertfünfzig Gemälde und zahlreiche Zeichnungen. Seine Mitpatienten interessieren sich nicht für den seltsamen Maler, und der Sohn des Klinik-Direktors hängt die bemalten Leinwände an den Baum und schießt begeistert mit Pfeil und Bogen auf die hübschen runden Sonnenblumen. 

An Theo schreibt Vincent, dass die Beobachtung der diversen "Verrücktheiten" seiner Mitpatienten ihn beruhige: "Ich habe gut daran getan, hierher zu kommen. Ich verliere dieses latente Grauen, die Furcht vor der Sache. Und nach und nach beginne ich die Verrücktheit als eine Krankheit wie jede andere zu sehen."





In Saint-Rémy, wie auch in Arles, sind überall Tafeln mit Bildern und Zitaten von van Gogh aufgestellt. Auf meiner kleinen Provence-Reise letzte Woche waren sie und die Geschichte dahinter das Bewegendste, das ich gesehen habe. Vincent van Gogh starb schließlich - da hatte er Saint-Rémy längst verlassen - an einer Kugel im Bauch. Niemand weiß, ob es Selbstmord war oder ob spielende Jungen die Pistole abgefeuert hatten (denn Vincent besaß keine). 

Aber was für ein wunderbares Werk hat dieser Künstler geschaffen, trotz seiner Krankheit. Sein Geist und sein Blick haben sich einfach erhoben über die körperlichen und irdischen Schwierigkeiten der Person. Das macht Mut. Und die geistige und spirituelle Kraft, mit der er seine Bilder gemalt hat, strahlt auf uns, die wir sie irgendwo in einem Land der Welt in einem Museum sehen dürfen, aus. 

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Samstag, 24. Mai 2025

Regenjazz



In der schwülen Stille zuerst ein leises Wisch-Wisch. Als würde ein Jazz-Percussionist mit den Besen über ein Becken streichen. Was für eine Musik soll das werden? Ein schwermütiger Blues, etwas Dunkles, das aus der Tiefe kommt und einen in die Tiefe lockt? Will man da hin, so antriebslos, wie einen die Hitze gemacht hat? Die Besen wischen schneller, ein Stick klopft auf etwas Tönernes (ein Instrument aus Afrika? der Südsee?), dann setzt eine gezupfte Saite ein, im Klang so etwas zwischen Gitarre und Cello. Eine straff gespannte Saite, sie wird doch hoffentlich nicht reißen? 

Der Percussionist legt Tempo zu, die anderen ziehen mit. Als Akzent schleicht sich leise im Hintergrund ein Patschen ein, als werde nasse Wäsche auf einem Stein ausgeschlagen. Ein Geräusch aus einer sehr fernen Zeit in einem sehr fernen Land. Der Wäscher prescht vor. Er patscht, der andere wischt, der dritte plingt. Aufregende Polyrhythmik entsteht, sie grooven sich ein, probieren ein Call and Response, einigen sich kurz auf eine Basis, aus der sie aber gleich wieder ausbrechen.

Und dann setzt endlich die Trommel ein wie eine Erlösung. Alles Bisherige war nur das Präludium, eine Vorbereitung auf das Eigentliche: den donnernden rasenden Wirbel. 

Das ist bester Free Jazz, von Könnern ausgeführt, und von den Menschen fällt im Handumdrehen die Trägheit der schwülen Tage ab. Sie eilen, sie rennen (regen: sich, Verb trans.; rege: sein, werden, Adj., Adv.). Bunte Schirme erblühen auf der Straße. Hunde zerren ihre Menschen hinter sich her, Radfahrer stülpen sich Plastiktüten auf den Kopf, Kinder hüpfen durch Pfützen. 

Der Wäscher aus dem fernen Land verabschiedet sich als Erster und sammelt seine Tücher ein. Der Trommler wischt zum Abschied noch mal lässig über das Becken. Und während die beiden davonbummeln, zupft und plingt der Saitenmusiker in allmählich versiegendem Rhythmus leise nach.

Stille.

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Montag, 19. Mai 2025

Gott spricht

 


God spoke today in flowers,

and I, who was waiting on words,

almost missed the conversation.

Ingrid Goff-Maidoff

 

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Sonntag, 11. Mai 2025

Wann endet ein Krieg?

 


 
Am 8. Mai hat die Welt das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert. Aber ein Krieg endet nicht, indem offizielle Dokumente unterzeichnet werden, keine Panzer mehr fahren und keine Bomben mehr fallen. 

Als Russland in die Ukraine einmarschierte, las ich zu meiner Verwunderung etliche Kommentare von Schriftstellern im Alter so um die Fünfzig, die ratlos vor der Tatsache standen, dass während ihrer Lebenszeit quasi vor ihrer Haustür ein Krieg stattfand. Der Autor Daniel Schreiber sprach für viele, als er sagte, mit so etwas hätte seine Generation doch nicht gerechnet. Sie seien im Frieden aufgewachsen und jetzt wüssten sie nicht, wie sie gefühlsmäßig mit diesem Krieg umgehen sollten. 

Wo ist diese Generation - um jetzt mal pauschal von einer ganzen Generation zu sprechen - denn aufgewachsen? Auf einer Südsee-Insel? Und was haben ihre Eltern - die in meinem Alter sein dürften - ihnen über den Zweiten Weltkrieg erzählt? Gar nichts? Alles totgeschwiegen? Weil sie bei Kriegsende oder kurz danach geboren wurden, meinten sie, der Krieg ginge sie nichts an? Da irren sich diese Eltern, falls sie so denken sollten, gewaltig. Denn meine Generation trägt den Krieg in sich.

In gewisser Weise bin ich privilegiert: Ich konnte mich nie der Illusion hingeben, mit diesem Krieg nichts zu tun zu haben. Ich bin mit den Erzählungen meiner Mutter aufgewachsen, die bis zu ihrem letzten Augenblick mit dem, was sie erlebt hatte, nicht umgehen konnte. Sie brauchte eine Adressatin für ihre Verzweiflung, die Adressatin war ihre Tochter. Durch meine Mutter weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn die liebevoll eingerichtete Eigentumswohnung in Flammen aufgeht, der Lieblingsbruder auf der Krim "fällt" und was es heißt, im Straßengraben zu kauern, während über einem die Tiefflieger jaulen. Jedes Gewitter löste bei meiner Mutter eine helle Panik aus. Wir durchlebten zu zweit erneut einen Kampf auf Leben und Tod, während vor den Fenstern die Blitze zuckten und der Donner krachte. 

Wir Nachkriegskinder sind eine besondere Generation. Stille und tapfere Überlebende eines Krieges, den wir selbst gar nicht erlebt haben und der uns doch bis heute prägt. Wir tragen ein schweres Erbe, das uns von unseren Vorfahren aufgebürdet wurde, und das wir, Schritt für Schritt, langsam in und durch uns selbst lösen müssen. 
 
Thich Nhat Hanh, von dem die obige Kalligrafie stammt und der selbst Freunde und Angehörige im Vietnam-Krieg verloren hat, sagte, jeder Krieg habe Auswirkungen auf sieben folgende Generationen. Das steht übrigens auch in der Bibel. Vielleicht gehörst du zur zweiten oder dritten Generation, vielleicht sogar zur vierten. Wie wäre es, wenn du dich dem Gedanken öffnen würdest, dass du nichts "falsch gemacht" oder gar im Leben versagt hast, wenn du manchmal von unerklärlichen Ängsten überfallen wirst, einen tiefen Kummer ohne Anlass spürst oder Aggressionen in dir entdeckst, deren Ursprung du dir nicht erklären kannst? Wir alle haben teil an dem dunklen Urgrund eines kollektiven Unbewussten, in dem so viel Schmerz und Gewalt brodeln, die nach dem Krieg hastig mit wilder und falscher Lebenslust zugedeckt wurden.
 
Es ist an uns, die Verantwortung zu übernehmen und all diese Dunkelheit in uns und durch uns stellvertretend für die Gesellschaft zu lösen. Thich Nhat Hanh sprach immer davon, wir sollten unsere Gefühle "umarmen". Das ist ein weiser und liebevoller Rat.
 
Wir umarmen unsere Gefühle, damit die Welt ein wenig heller wird. Das macht uns sanft gegenüber uns selbst und gibt uns Mitgefühl für all jene, die mit ihrem eigenen Erbe, aus ihrem eigenen Land des Krieges zu uns kommen. Aus den Straßengräben, den Flammen, mit den gefallenen Brüdern im Herzen.
 
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