Ich verfolge als stille Mitleserin ein paar Blogs anderer Autor/innen, und in allen ist, wenig überraschend, im Moment die gesellschaftliche Ratlosigkeit und Resignation das beherrschende Thema. Und alle stellen die Frage: Was sollen, können wir denn jetzt tun? Die offensichtliche Antwort darauf ist, dass wir als Einzelne gar nichts
dazu beitragen können, den Krieg in der Ukraine und den im Gazastreifen
zu beenden, den USA einen anderen Präsidenten zu bescheren oder uns
eine Regierung, die tatsächlich neue kreative Ideen für unsere Probleme hat und auch weiß,
wie man sie umsetzen kann (und das Geld dafür irgendwo auftreibt).
In Zeiten der Verunsicherung neigen wir dazu, in Aktionismus zu verfallen. Der Begriff Aktionismus kommt im alltäglichen Sprachgebrauch fast zwingend mit dem Adjektiv "blind" daher. Der Philosoph Wolfram Eilenberger, den ich sehr schätze, nimmt diese sprachliche Fügung feinsinnig auseinander und sagt: "Aktivismus ist ein Bewusstseinszustand, der sich bewusst blind macht für das, was er noch nicht bedacht hat."
Darum geht es nämlich, wenn wir in hektisches Tun verfallen: Wir versuchen, der Verunsicherung durch die Umstände mit
Eindeutigkeit zu begegnen, und diese von uns selbst behauptete
Eindeutigkeit wird zur Grundlage unseres Handelns. Nachzudenken,
abzuwägen, Argumente hin- und herzubewegen und der eigenen Intuition zu
lauschen, würde uns die äußere Unsicherheit erst bewusst machen und uns zusätzlich in innere
Verunsicherung stürzen. Die Blindheit des Aktionismus ist dazu da, unsere Angst unter Kontrolle zu bringen.
Thich Nhat Hanh pflegte uns immer wieder klarzumachen: Dein Sein ist wichtiger als dein Tun. Wenn ich das in einem Vortrag sage, wird mir hinterher regelmäßig vorgehalten, dass es doch nicht im Sinne eines sozial engagierten Buddhismus sein kann, sich gemütlich in die Hängematte zu legen, während die Welt im Chaos versinkt. Ich finde es bemerkenswert, dass der Begriff Sein, wenn er im Zusammenhang mit dem des Tuns benutzt wird, offenbar negativ konnotiert ist und die Assoziation von Faulheit und Ignoranz hervorruft.
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Satz von Thay keine philosophische oder politische, sondern eine spirituelle Aussage ist. Und die Grundlage für unsere spirituelle Praxis in all ihren Facetten ist das Wissen um, die Erfahrung von oder zumindest das Vertrauen in die Verbundenheit alles Seienden. Unser Seinszustand bestimmt, wie wir denken, fühlen und leben, und all dies wiederum strahlt ungehindert aus in das große Ganze. Wir müssen uns also zuerst um unseren eigenen Zustand kümmern, und das tun wir mit dem, was wir Praxis nennen.
Wir halten also inne, atmen und schauen uns bewusst an, was in uns und um uns herum vorgeht. Einfach wahrnehmen, klar und ohne Angst vor dem, was wir entdecken könnten. Weiteratmen. Neu hinschauen. So lernen wir uns selbst, unsere Motivationen und vor allem unsere Ressourcen kennen. Wir sehen auch die äußeren Umstände neu, ihre zahlreichen Facetten und unsere Beziehung zu ihnen. Thay nannte das Ergebnis unserer Praxis "Einsicht": Wir sehen die Dinge in der Tiefe und schauen sie nicht mehr im Licht unserer Vorurteile von außen an. Und daraus ergibt sich unser Handeln, aber jetzt ist es nicht einem blinden Aktionismus entsprungen, sondern wurzelt in unserem Sein.
Ein solches Tun ruft kein Chaos hervor, sondern ist hilfreich für alle Beteiligten.
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