Kurz nach seinem Erscheinen im Jahr 2016 habe ich dieses Buch schon einmal vorgestellt. Aber wie sehr hat sich doch die Welt verändert in dieser, geschichtlich gesehen, so kurzen Zeit. Ich finde, wir brauchen die Geschichten in "Das verborgene Licht" heute mehr denn je. Sie sind so unglaublich reich und wertvoll.
Die Weisheit von Frauen wurde im Buddhismus bis vor Kurzem ignoriert; viele Lehren und Praktiken entspringen einer männlichen Sicht. Die beiden Herausgeberinnen Zenshin Florence Caplow und Reigetsu Susan Moon haben deshalb historische Geschichten ausgegraben, in denen weise Frauen zu Wort kommen. Keine Priesterinnen oder hohen Würdenträgerinnen. Diese Frauen verkaufen vielmehr am Straßenrand Tee und Reiskuchen, erwachen beim Kochen eines Currys oder sind sogar Kurtisaninnen. Aber wehe, ein Mönch lässt sich in seiner Herablassung auf einen Disput mit ihnen ein. Mit einem Satz können sie ihm zur Erleuchtung verhelfen, und notfalls hauen sie ihm eins über den Schädel. Sie sind allesamt Außenseiterinnen, unabhängige Alleinlebende, herrlich unkonventionell und mit scharfem Blick und Verstand gesegnet.
Die Herausgeberinnen nennen diese kurzen Geschichten "Koans", und das sind sie auch. Keine Koans aus dem klassischen Kanon, sondern Alltags-Koans. Sie werden auf sehr persönliche Weise betrachtet von Lehrerinnen diverser buddhistischer Traditionen aus dem anglikanischen Raum und - dank der Verlegerin der deutschen Ausgabe, Ursula Richard - zusätzlich auch von sechzehn deutschsprachigen Lehrerinnen. Die Kommentare sind das Herzstück des Buches. Jede dieser historischen Geschichten wird als hilfreich für den ganz gewöhnlichen Alltag von Frauen dargestellt. Was nützen uns ellenlange Rezitationen? Wir möchten wissen: Was kann ich von dieser meiner Ahnin lernen für meine Arbeit im Büro, für den Frieden in meiner Familie, das Kochen und Putzen und Sorgen für andere?
Ich durfte auch eine Auslegung beitragen und habe dieses Erleuchtungs-Gedicht der knorrigen alten Chen gewählt:
Ganz oben auf den Berghängen sehe ich nur alte Holzfäller.
Jeder hat den Geist des Messers und der Axt.
Wie können sie die Bergblumen sehen,
gespiegelt im Wasser - leuchtend, rot?
Ich finde es ein wunderbares Gedicht, das unsere gegenwärtige Situation poetisch beleuchtet.
Das Buch ist ein Schatz fürs Leben, den man nie "ausliest". Auch Männer werden sehr von der Weisheit der Frauen profitieren. Die Herausgeberinnen schreiben in ihrem Vorwort: "Diese Geschichten sind als Spiegel für unser eigenes Leben und unsere eigene Praxis gedacht. Jede Geschichte ist ein Geschenk einer weiblichen Ahnin an Sie, gleichgültig, ob Sie nun ein Mann oder eine Frau sind."
Florence Caplow, Susan Moon "Das verborgene Licht. 100 Geschichten erwachter Frauen aus 2500 Jahren, betrachtet von (Zen-)Frauen heute. Aus dem Englischen (sehr gut) übersetzt von Karin Petersen. edition steinrich, ISBN 978-3-942085-48-9.
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