Mittwoch, 20. November 2024

Erst SEIN, dann TUN



 

Ich verfolge als stille Mitleserin ein paar Blogs anderer Autor/innen, und in allen ist, wenig überraschend, im Moment die gesellschaftliche Ratlosigkeit und Resignation das beherrschende Thema. Und alle stellen die Frage: Was sollen, können wir denn jetzt tun? Die offensichtliche Antwort darauf ist, dass wir als Einzelne gar nichts dazu beitragen können, den Krieg in der Ukraine und den im Gazastreifen zu beenden, den USA einen anderen Präsidenten zu bescheren oder uns eine Regierung, die tatsächlich neue kreative Ideen für unsere Probleme hat und auch weiß, wie man sie umsetzen kann (und das Geld dafür irgendwo auftreibt).

In Zeiten der Verunsicherung neigen wir dazu, in Aktionismus zu verfallen. Der Begriff Aktionismus kommt im alltäglichen Sprachgebrauch fast zwingend mit dem Adjektiv "blind" daher. Der Philosoph Wolfram Eilenberger, den ich sehr schätze, nimmt diese sprachliche Fügung feinsinnig auseinander und sagt: "Aktivismus ist ein Bewusstseinszustand, der sich bewusst blind macht für das, was er noch nicht bedacht hat." 

Darum geht es nämlich, wenn wir in hektisches Tun verfallen: Wir versuchen, der Verunsicherung durch die Umstände mit Eindeutigkeit zu begegnen, und diese von uns selbst behauptete Eindeutigkeit wird zur Grundlage unseres Handelns. Nachzudenken, abzuwägen, Argumente hin- und herzubewegen und der eigenen Intuition zu lauschen, würde uns die äußere Unsicherheit erst bewusst machen und uns zusätzlich in innere Verunsicherung stürzen. Die Blindheit des Aktionismus ist dazu da, unsere Angst unter Kontrolle zu bringen.

Thich Nhat Hanh pflegte uns immer wieder klarzumachen: Dein Sein ist wichtiger als dein Tun. Wenn ich das in einem Vortrag sage, wird mir hinterher regelmäßig vorgehalten, dass es doch nicht im Sinne eines sozial engagierten Buddhismus sein kann, sich gemütlich in die Hängematte zu legen, während die Welt im Chaos versinkt. Ich finde es bemerkenswert, dass der Begriff Sein, wenn er im Zusammenhang mit dem des Tuns benutzt wird, offenbar negativ konnotiert ist und die Assoziation von Faulheit und Ignoranz hervorruft.

Aber wir dürfen nicht vergessen, dass dieser Satz von Thay keine philosophische oder politische, sondern eine spirituelle Aussage ist. Und die Grundlage für unsere spirituelle Praxis in all ihren Facetten ist das Wissen um, die Erfahrung von oder zumindest das Vertrauen in die Verbundenheit alles Seienden. Unser Seinszustand bestimmt, wie wir denken, fühlen und leben, und all dies wiederum strahlt ungehindert aus in das große Ganze. Wir müssen uns also zuerst um unseren eigenen Zustand kümmern, und das tun wir mit dem, was wir Praxis nennen. 

Wir halten also inne, atmen und schauen uns bewusst an, was in uns und um uns herum vorgeht. Einfach wahrnehmen, klar und ohne Angst vor dem, was wir entdecken könnten. Weiteratmen. Neu hinschauen. So lernen wir uns selbst, unsere Motivationen und vor allem unsere Ressourcen kennen. Wir sehen auch die äußeren Umstände neu, ihre zahlreichen Facetten und unsere Beziehung zu ihnen. Thay nannte das Ergebnis unserer Praxis "Einsicht": Wir sehen die Dinge in der Tiefe und schauen sie nicht mehr im Licht unserer Vorurteile von außen an. Und daraus ergibt sich unser Handeln, aber jetzt ist es nicht einem blinden Aktionismus entsprungen, sondern wurzelt in unserem Sein. 

Ein solches Tun ruft kein Chaos hervor, sondern ist hilfreich für alle Beteiligten.

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Dienstag, 12. November 2024

May our voice be strong

 



Es gibt eine Legende über König Salomon, diesen weisesten der Könige in der Bibel. Wenn er die Nachricht von einer Niederlage oder dem Tod eines Getreuen erhielt und sein Hofstaat in Panik geriet, drehte er an seinem Ring, und sofort wurde er ruhig und gelassen. Eines Tages fragte ihn sein Sekretär, was denn das Geheimnis dieses Ringes sei, er hätte auch gerne so einen, um so gelassen zu werden wie der König. Salomon zog den Ring ab, und der Sekretär las die in die Rückseite eingravierten Worte: "Auch dies wird vorübergehen."

Die Ereignisse des 6. November - vor allem das in meinem Vaterland, aber auch das in meinem Mutterland - können viel in uns bewegen. Es gehen gerade zahlreiche Mails über den Atlantik, in denen von Besorgnis, Angst, Wut und Resignation die Rede ist. Ich verstehe das. Aber wir haben die Wahl, wie wir auf die Veränderungen antworten wollen.  

Die Künstler kennen die Antwort, die wir jetzt alle geben sollten: Lass dich nicht beirren. Du hast eine Aufgabe: Die Menschen zu ermutigen, zu inspirieren, zu stärken. Du bist wichtiger denn je.

Sing gently, always, sing gently as one. May we stand together, may our voice be strong.

Der amerikanische Komponist Eric Whitacre hat das, was ich jetzt für wichtig halte, schon vor Jahren in Musik ausgedrückt. Und meine Lieblings-Gruppe Voces8 hat es wunderbar interpretiert.

Nicht vergessen: Alles geht vorüber.

Und jeder.

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Dienstag, 5. November 2024

Zen und die Lust, Ordnung zu schaffen

 

Vor vierzehn Jahren fragte mich meine SWR-Redakteurin, ob ich mir vorstellen könnte, ein Feature über das Thema "Zen und die Lust, Ordnung zu schaffen" zu machen. Ich konnte und fuhr unter anderem in die Zen-Klausen in der Eifel, um mit den beiden Zen-Lehrerinnen Judith Bossert und Adelheid Meutes-Wilsing über das Thema zu sprechen.

Was ist eigentlich "Ordnung"? Ist sie eine festgelegte Größe, der wir alle zu folgen haben, oder ist sie eine Vorstellung in unserem Geist, der wir glauben, folgen zu müssen? Und was hat Zen mit Ordnung zu tun?

Sowohl Judith als auch Adelheid sind inzwischen gestorben, und es berührt mich, ihre Stimmen in diesem Feature zu hören. Ich sehe uns zusammen in der Küche beim Tee sitzen und denke noch heute manchmal, wenn ich mich auf mein Kissen in meiner bescheidenen Meditations-Ecke setze, an den schönen Zendo, den die beiden in der Eifel erschaffen haben. Die Klausen gibt es noch, schaut sie euch an: hier ist die Website.

Ein paar Jahre nach der Erst-Sendung ist das Feature mehrfach auf youtube aufgetaucht, und wenn ihr Lust habt, hört es euch doch mal an.

Und zwar hier:



Für alle, bei denen das Video nicht angezeigt wird: hier (klick).

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Mittwoch, 30. Oktober 2024

Der Supermarktkassenstress


... und dann hatte ich auch noch die Eier vergessen.

Eigentlich bin ich eine Supermarktpackexpertin. (Ich schreibe hier die Worte im Supermarktkassentempo, nämlich ohne erholsame Bindestriche. Das müsst ihr jetzt aushalten, gute Literatur stellt ihr Thema nachvollziehbar dar.) Also ich, die Expertin, ging einkaufen.

Dienstag Nachmittag, 14 Uhr. Ich dachte mir das so: Die Mittagesser haben ihre Zutaten schon gekauft, die Abendesser sind noch im Büro. Zeitlich entspannt dazwischen: Ich mit meinem Reiserucksack (internationale Kabinengröße), denn einen Wochen-Einkauf vierzig Stufen hoch in die Wohnung zu tragen ist eine sportliche Leistung, die ich mit einem Korb am Arm nicht mehr so ohne Weiteres bringe. 

Das war der Plan. Der Supermarkt aber kannte den nicht. Sie hatten nur eine Kasse geöffnet. Die Kundin vor mir kannte ihn auch nicht. 

Sie versuchte, die auf der abschüssigen Alufläche auf sie zurasenden Waren in ihren Korb zu stapeln, aber vielleicht war sie beim Gang durch die Gänge Versuchungen erlegen oder sie war generell planlos unterwegs gewesen (größter Supermarktfehler!), jedenfalls war der Korb zu klein. Sie hatte unten den Frischfisch und den Käse und packte den Sack Kartoffeln darauf. Dann merkte sie, dass das vielleicht gewichtsmäßig etwas ungeschickt war und packte alles wieder aus. Vor ihr türmten sich Konservendosen, Waschpulver, Schokolade. Dreiundvierzig zweiundachtzig, sagte die Kassiererin. Die Kundin kramte im Geldbeutel und murmelte: Ich hab die zweiundachtzig, warten Sie mal. Dann wandte sie sich zu mir um mit einem herzzerreißenden Lächeln und sagte: Ich bin gleich weg.

Keinen Stress, sagte ich zu ihr und meinte das auch so. Vielleicht hatte sie denselben Gedanken an entspannte Supermarktleerheit gehabt wie ich und war ebenso reingefallen. Sie hatte gezahlt und packte neu ein, schob die Dosen hin und her, irgendwie passte das Ganze immer noch nicht. Hinter mir staute sich die Schlange. Ich stand im engen Gang zwischen den Kassen, vor mir versuchte die Kundin weiterhin, ihre Logistikprobleme zu lösen, und die Kassiererin begann, meine Waren zügig über den Scanner zu ziehen. Weil die Alufläche belegt war, stapelte sie alles neben sich hinter die Scheibe, dorthin, wo ihre Wasserflasche stand. Auf die Bananen und Champignons packte sie die Dose Kokosmilch, die Tomaten, die Milch, die Äpfel, den ganzen Kleinkram und obendrauf auf den Turm meinen Topf Petersilie. 

Hinter der Scheibe ist wirklich wenig Platz, das wurde mir erst jetzt bewusst. Nun begann mir auch die Kassiererin leid zu tun. Es war insgesamt ein emotional aufwühlender Einkauf, und dann sagte die Frau professionell kühl: zweiundzwanzig neunundvierzig. Sehnsüchtig betrachtete ich, was ich gekauft hatte, aber nicht an mich nehmen durfte. Es war eine Situation wie auf dem Flughafen, wenn man jemanden abholt und sich durch die Trennscheibe zwischen Halle und Baggage Claim hindurch zuwinkt: Ach, da ist er ja, so unerreichbar nah!

Ich zahlte mit der Karte, um wenigstens eine Kleinigkeit rasch und effektiv zu erledigen. Während die Kundin vor mir nach einer Möglichkeit suchte, ihr Toilettenpapier unter den Korbgriff zu klemmen, nahm die Kassiererin Anlauf, breitete ihre beiden Arme aus und schaufelte meinen Warenturm in einer einzigen Bewegung auf die Einpackfläche, wo die Sachen an den Einkaufskorb der Dame prallten, die mich jetzt flehend ansah und flüsterte: Ich bin wirklich gleich weg.

Ich raffte alles planlos in den Rucksack, während die Sachen des Kunden hinter mir auf mich zurasten, und verließ mit über meinem Kopf wippender Petersilie (wo war der Camembert? Der Sahnebecher? Hoffentlich lag da nichts Spitzes drauf!) den Laden. 
 
Zu Hause stellte ich fest, dass ich vergessen hatte, Eier zu kaufen.

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Mittwoch, 23. Oktober 2024

Die besondere Gelegenheit

 

Das ist nur ein kleiner Teil meiner Hut-Kollektion ...


Als ich Mitte zwanzig war, kaufte ich mir das schönste Kleid, das ich je (bis heute) besessen habe. Ein Einzelstück einer Designerin, die in einer Seitenstraße in Würzburg ihr kleines Atelier betrieb. Es war aus dunkelrotem Samt mit einem weit schwingenden Glockenrock und einer Passe, die aus einem alten Gobelin gearbeitet worden war. Es war, für meine damaligen Verhältnisse, sündteuer.

Ich suchte nach Gelegenheiten, es anzuziehen. Die Gelegenheiten wollten sich nicht so recht ergeben. Obwohl es kein Abendkleid war, sondern ein edel zurückhaltendes Design hatte, fiel ich auf, als ich es einmal auf der Straße trug. Auf Parties ging ich nicht, und als ich es beim alljährlichen Würzburger Mozartfest im Residenzgarten tragen wollte, goss es in Strömen und ich zog eine Hose an.

Jahre später ergab sich die ultimative Gelegenheit, als ich in München zum Empfang des Ministerpräsidenten in die Staatskanzlei eingeladen wurde, da ich gerade den Münchner Literaturpreis gewonnen hatte. Nun war dieser Ministerpräsident damals Franz-Josef Strauß, und ich merkte, dass ich keine Lust hatte, dem Mann die Hand zu schütteln. Aber das Kleid! Endlich konnte ich das Kleid zu einem angemessenen Anlass ausführen. Ich schälte es aus seiner Plastikhülle, und dunkelrote Samtbrösel fielen zu Boden. Die Motten hatten gründliche Arbeit geleistet.

Damit war die Entscheidung gefallen: Ich würde Herrn Strauß nicht die Hand schütteln.

Mein wunderschönes Kleid habe ich insgesamt vielleicht fünf Mal getragen. Der Abschied von ihm war schmerzhaft und hat mich etwas gelehrt: Schone deine schönen Dinge nicht für die eine besondere Gelegenheit. Die besondere Gelegenheit für das schicke Kleid, die tollen Schuhe, die irren Hüte, den Wahnsinns-Mantel ist schon da!

Du bist auch heute Morgen wieder erwacht, in einen ganz neuen, nie dagewesenen Tag hinein. Du hast ein Dach über dem Kopf und feine Sachen im Kühlschrank. Dir fallen keine Bomben auf den Kopf, du hast die Freiheit, dich überall hin zu bewegen, du darfst sagen, was du sagen willst. Du bist lebendig, du bist frei, und das feierst du jetzt, indem du dein ganz besonderes Stück anziehst und es endlich ausführst: zum Einkauf im Supermarkt, zur Zahnärztin, zum Geldabheben in der Bankfiliale. 

Die besondere Gelegenheit ist jetzt. Es ist dieser Moment. Wenn du ihn feierst, ist er immer besonders. Probiere es einfach mal aus.

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Mittwoch, 9. Oktober 2024

Frei sein!

 

 

"In Hagerstown in den USA liegt die Strafanstalt Maryland. Anfang dieses Jahrhunderts gab der vietnamesische Zen-Meister Thich Nhat Hanh dort mit einigen Nonnen, Mönchen und Freunden für die Gefangenen einen Tag der Achtsamkeit zum Thema Freiheit. Das war ganz schön mutig: Einhundert Männern, die zum Teil seit Jahrzehnten hinter Gittern saßen, zu erzählen, dass Freiheit eine geistige Haltung sei, die jeder Mensch einnehmen könne, egal, wo er sich gerade befinde. Sie aßen miteinander zu Mittag, übten Gehmeditation im Hof, und die Insassen bemühten sich zu begreifen, was das bedeutet: 'Wenn ihr geht, geht als freie Menschen. Wenn ihr atmet, atmet als freie Menschen.'

Ich habe mein Herkunftswörterbuch nach der ursprünglichen Bedeutung des Wortes 'frei' befragt. Erstaunlicherweise hat es dieselbe indogermanische Wurzel wie das Wort 'Friede' und der 'Freund'. Diese drei Worte hatten ursprünglich die Bedeutung 'schützen, schonen, gernhaben, lieben'. Die Germanen errichteten auf dem Begriff eine Rechtsordnung und im historischen Ablauf wandelte sich der Begriff zu der heute allgemeinen Anwendung des Adjektivs im Sinne von 'ungebunden, unbelastet'.

Wir benutzen das Wort also heute ausschließlich als ein Freisein von etwas: Wir sind endlich losgeworden, was uns so unfrei gemacht hat – den Job, den wir nicht mochten, die toxische Beziehung, die uns geschadet hat. Sich von Fesseln zu befreien, die unsere Entwicklung behindern, ist tatsächlich ein wichtiger Schritt auf dem Lebensweg. 

Aber frei zu sein von etwas, ist nur der erste Schritt. Die Frage ist: Wozu nutze ich meine Freiheit?"

Dies ist ein Auszug aus meinem Beitrag für die Ursache\Wirkung Nr. 124. Weiterlesen? Gerne hier (klick).

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Freitag, 27. September 2024

Eine heilsame Zukunft erschaffen

 

"Wir sind oft so fokussiert auf einen Plan oder ein Ziel, dass wir unser Eingebundensein in den großen Weltzusammenhang vergessen. Alles Seiende verändert sich unablässig aufgrund von zahllosen miteinander vernetzten Bedingungen, und die Veränderungen geschehen nicht schön geordnet nacheinander, sodass wir in Ruhe darüber nachdenken können, sondern gleichzeitig. Unser lineares Denken aber kann diese Gleichzeitigkeit nicht erfassen. Der buddhistische Mönch Matthieu Ricard sagt: „Da wir intuitiv von Linearität ausgehen, missverstehen wir die komplexen Dynamiken ökonomischer und ökologischer Systeme und halten an der Illusion fest, wir könnten deren Zukunft vorhersagen und damit kontrollieren.“ 

Geht es nicht bei all unseren Bemühungen, die Zukunft zu unseren Gunsten zu manipulieren, um Kontrolle? Das Bedürfnis nach Kontrolle entsteht aus dem Wunsch nach Sicherheit, und die Tatsache der unablässigen Veränderung verunsichert uns verständlicherweise sehr. Wie viele teure und überflüssige Versicherungen werden deshalb abgeschlossen, Eheverträge werden juristisch wasserdicht ausgeklügelt. Aber weil das alles ja nicht hilft gegen die Angst vor der Unsicherheit, verschließen wir unsere Herzen und lassen andere Menschen und neue Erfahrungen nur nach genauester Prüfung hinein. Wir vergessen so leicht, dass auch wir eingebunden sind in das Ganze, wie scheinbar klein auch unser Spielraum sein mag. Wir nutzen das Kostbarste nicht, das wir haben: unsere Fähigkeit, Mitschöpfer einer heilsamen Zukunft zu sein. "

Wie wir eine heilsame Zukunft erschaffen können, lest ihr in meinem Beitrag für die Ursache\Wirkung "Die Zukunft ist bereits da" hier (klick).

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Sonntag, 22. September 2024

Das Leben einer Schriftstellerin

 

Hin und wieder wird mir eine Art ehrenamtlicher Tätigkeit angeboten (übrigens habe ich bereits eine) mit den Worten: "Du hast doch Zeit, du kannst das machen." Im Erdgeschoss meines Hauses wohnte vor Jahren eine Frau (hauptberufliche Hausfrau), die verlangte, ich solle den gesamten Hausputz, der von den Mietern abwechselnd geleistet wird, übernehmen: "Ich habe keine Zeit dafür, aber Sie haben ja nichts zu tun." Nachdem ihr Mann, mein Stiefvater, gestorben war, verlangte meine Mutter von mir, zurückzukehren in meinen Heimatort (13.000 Einwohner), um mit ihr zu leben. Ich wohnte seit Jahren in München, hatte bereits ein paar Bücher veröffentlicht und meinen ersten Literaturpreis erhalten und bekam von ihr wöchentlich Ausschnitte aus der örtlichen Zeitung, in denen Autowerkstätten und kleine Handwerksbetriebe eine "Stenotypistin" suchten: "Hier findest du Arbeit. In München hast du ja keine und gehst vor die Hunde."
 
Ich kenne Schriftsteller-Kollegen und -Kolleginnen, die sich einen Büroraum gemietet haben, weil sie mit einem Büro endlich ernst genommen werden: Sie haben für alle sichtbar "Arbeit".
 
Ja, was tut eine Schriftstellerin bloß den ganzen Tag. Guckt aus dem Fenster, kaut am Bleistift? Macht sich einen Kaffee, surft im Internet? Manchmal sieht man sie - um zwei Uhr nachmittags! - über die Felder gehen. Mit der Kamera. Was hat Fotografieren mit Schreiben zu tun? (Sehr viel. Inzwischen gibt es sogar zwei Foto-Text-Bücher.) 
 
Also bitte: Wann arbeitet die denn!
 
Wäre ich Musikerin, würde man wenigstens was hören von mir. Wäre ich Malerin, würde ich vielleicht in farbbeklecksten Hosen herumlaufen. Aber die Stille, in der eine Autorin lebt, weckt Misstrauen. Wir sind wie die Katzen, die sich lautlos durch die Welt bewegen und in ihrer scheinbaren Gleichgültigkeit alles bemerken, was um sie herum geschieht. Denen traut man auch nicht über den Weg.
 
Ich habe mal meine vierzehn Bücher samt Übersetzungen aufgebaut, aber in jeweils nur der ersten Auflage. Nicht fotografierbar: Dutzende Künstlerische Features aus dreißig Jahren, zwischen dreißig und neunzig Minuten lang. Essays, Artikel, Rezensionen, Kolumnen, Übersetzungen. 
 
Das Leben einer Schriftstellerin: Jeden Tag am Schreibtisch sitzen, ab sieben, spätestens acht Uhr. Und ich meine: JEDEN Tag. Der Sonntag ist der beste Arbeitstag. Schön ruhig und niemand klingelt, um mir einen Sack Kartoffeln oder eine Mitgliedschaft bei Wem-auch-immer zu verkaufen.
 
Würde ich den Beruf noch einmal wählen? Ja, das würde ich. Für eine Person, die Stille, das Alleinsein und die Feinheiten der Sprache über alles liebt, ist es der ideale Beruf. 

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