Quelle: Wikipedia
Ich habe gelesen, dass bestimmte Spinnen-Arten ihre Netze grundsätzlich nur zwischen Gräser und leichte Äste hängen. Ihr Instinkt sagt ihnen, dass ein zwischen feste Objekte gespanntes Netz im Wind leicht zerreißen kann, während ihre Netze im Wind elastisch mit den Gräsern schwingen.
Auch unser Leben ist immer wieder einem manchmal heftigen Wind ausgesetzt. Wenn unser Geist sich dann an das Feste klammert in der Hoffnung, es würde ihm Sicherheit geben, kann er irritiert und auch tief gestört werden. Das Feste ist das Gewohnte, in dem wir uns eingerichtet haben, das, was uns vertraut ist. Die täglichen Abläufe im Alltag, die Handgriffe, die wir blind ausführen, die Menschen, an die wir gewöhnt sind. Aber auch unsere Meinungen, Überzeugungen und Urteile, die mindestens so starr sind wie eine Mauer, die kluge Spinnen meiden. Die Zeiten des großen Windes sind die gefährlichsten in unserem Leben. Nichts scheint mehr so zu sein, wie es war. Wir müssen einsehen: Mein Urteil über dies und jenes erweist sich als völlig falsch. Der Mensch, dem ich vertraut habe, hat mich betrogen. Die Diagnose, die mein Arzt mir mitteilt, stellt mein Leben auf den Kopf.
Unsere alten Strategien funktionieren nicht mehr. Jetzt ist es für unsere körperliche und psychische Gesundheit wichtig, dass unser Geist geschmeidig mitschwingt mit dem Sturm. Auch wenn unser Netz, anders als das der Spinne, nie zerreißen kann.
Das Netz der Spinne ist ihr Zuhause, sie hat kein anderes. Es ist sichtbar für alle aufgespannt und deshalb so gefährdet. Unser Zuhause ist in uns selbst verborgen; so verborgen, dass viele Menschen es noch nie betreten haben. Wir können nur dann vertrauensvoll mit den Stürmen umgehen, wenn wir in uns zu Hause sind. Gerade in Zeiten des Umbruchs, in denen wir das Gefühl haben, uns werde der Boden unter den Füßen weggezogen, können wir die Lehre des Buddha konkret erfahren. Im "Sutra über die Unterweisungen für Kranke", das in buddhistischen Klöstern oft rezitiert wird, heißt es:
"Dieser Körper bin nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Körper.
Dieser Geist ist nicht ich. Ich bin nicht gebunden an diesen Geist."
In dem Sutra ist mit "Geist" der persönliche Geist gemeint, mit den Gedanken, die Gefühle auslösen, die wiederum Gedanken erzeugen. In Krisen-Situationen erkennen wir, dass er zwar ein großartiges Instrument ist, mit dem wir das Leben erfahren, es aber in uns eine tiefere, größere Weite gibt, die weder Geist noch Körper ist. Diese Tiefe nannte Thich Nhat Hanh "dein Wahres Selbst".
Wir können uns immer wieder mit unserem Wahren Selbst verbinden, indem wir mitten im Alltag innehalten und bewusst ein- und ausatmen, ohne den Gedanken zu erlauben, sich einzumischen. In dieser Tiefe begegnen wir einer wunderbar warmen, heilsamen und beruhigenden Stille. Es ist, als würden wir heimkehren; wir haben das Gefühl: Ach, da bist du ja, wer oder was immer du bist. Dich habe ich so lange gesucht, und dabei warst du doch immer bei mir. So nah.
Während der Sturm uns durchschüttelt, bewegt sich unser Geist geschmeidig mit. Lässt los, was nicht zu halten ist, nimmt an, was immer da kommt. Wir aber sind geborgen in unserem Netz, das nie zerreißen kann. Unserem Wahren Selbst.
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