Im Juli war ich wieder im Intersein-Zentrum. Die Fahrt ist immer, sagen wir mal: interessant. In diesen elf Stunden von Haus zu Haus begegnet mir so einiges, was mich dann längere Zeit bewegt.
Ich hatte eine neue Verbindung, die gut klang. S-Bahn bis Freiburg, ICE von Freiburg nach Karlsruhe, von dort im IC bis Nürnberg, dann ICE bis Passau, dann Bus. In Karlsruhe suchte ich den IC auf dem angegebenen Gleis, fand aber nur die Art Zug, mit der ich von meinem Vorort nach Freiburg gefahren war. Doch, doch, das sei der IC nach Nürnberg, sagte ein Bahnmitarbeiter am Gleis. Regionalverkehr eben. Er wunderte sich, dass ich mich wunderte.
Ich hatte einen Platz gebucht, der mir in dem Wagen reserviert worden war, in dem eine komplette Schulklasse von etwa Achtjährigen auf den Sitzen tobte. Der Rest des Zuges war nahezu leer. Meine erste Aktion war die Flucht. Ich machte es mir in Wagen zwei, hmm, gemütlich. Die Sitzabstände waren beklemmend und die Sitze nicht verstellbar. Die deutsche Bahn stärkt im Regionalverkehr ihren Reisenden das Rückgrat. In diesen Sitzen wird nicht gelümmelt, da zeigt man Haltung.
Abfahrt in Karlsruhe um 9.06 Uhr, Ankunft in Nürnberg um 12.30 Uhr. Dreieinhalb Stunden S-Bahn-Fahrt.
Ich hatte zwei gute Bücher dabei. Die erste Stunde verging, die Sitzabstände legen die Redewendung nahe, wie im Fluge. Dann knackte der Lautsprecher und verkündete Erstaunliches: "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."
Oha. Eine S-Bahn mit Luxus. Meine Wasserflasche war leer, und ich machte mich auf den Weg zu Wagen sechs. Passierte diverse Kofferrampen, es ging auf und ab, ich wurde hin und her geworfen. In den Wagen, die ich durchquerte, waren ein paar Reisende in großen Abständen hingetupft. Sie sahen mir erstaunt nach. Offenbar hatten sie keinen Wunsch nach Luxus, sie wollten einfach nur ankommen.
Die letzte Kofferrampe hinauf, Wagen sechs öffnete sich vor mir. An der Wand lehnte eine Mitarbeiterin der Bahn und wischte auf ihrem Handy herum. Als sie mich sah, steckte sie es hastig ein und strahlte mich an. Eine Kundin! Tatsächlich, eine Kundin. Zu ihren Füßen stand einer jener kleinen Einkaufskörbe aus dem Supermarkt, die man sich schnappt, wenn man kurz vor Ladenschluss noch etwas zum Abendessen einkaufen will. In dem Korb befanden sich ein paar Müsliriegel, Chipstüten, ein Apfel und eine winzige Packung Pralinen. Gemeinsam sahen wir auf das Angebot hinab.
"Das ist die Snack Bar?" fragte ich.
"Ja, heute haben wir leider nur eine kleine Auswahl", sagte die Frau hastig und versuchte ein erneutes Strahlen. "Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?"
Im Hintergrund, auf einer Art Wandbord, stand eine Warmhaltekanne mit einem mindestens zwei Stunden alten Kaffee.
"Haben Sie auch etwas Kühles zu trinken?" fragte ich.
"Oh, ja!" rief sie. "Was wollen Sie? Alkoholisch? Nicht alkoholisch?"
Sie schloss eine Wandtäfelung auf, und dort, wo ich in Zügen immer irgendwelche Technik vermutet hatte, kam ein Kühlschrank zum Vorschein. Sie pries mir jede Flasche einzeln an, wahrscheinlich war mein Besuch die einzige Abwechslung, die sie bis Nürnberg erwartete.
Mit meiner Apfelschorle taumelte ich zurück in Wagen zwei. Die Frau hatte mir noch einen umweltschädigenden Pappbecher aufgedrängt, den ich genommen hatte, weil ich ihr eine Freude machen wollte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn haben keinen leichten Job. Diese tat mir besonders leid.
Ich versenkte mich erneut in mein Buch. Kurz vor Crailsheim knackte der Lautsprecher. "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."
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