Freitag, 8. August 2025

Die Snack Bar der DB




Im Juli war ich wieder im Intersein-Zentrum. Die Fahrt ist immer, sagen wir mal: interessant. In diesen elf Stunden von Haus zu Haus begegnet mir so einiges, was mich dann längere Zeit bewegt.

Ich hatte eine neue Verbindung, die gut klang. S-Bahn bis Freiburg, ICE von Freiburg nach Karlsruhe, von dort im IC bis Nürnberg, dann ICE bis Passau, dann Bus. In Karlsruhe suchte ich den IC auf dem angegebenen Gleis, fand aber nur die Art Zug, mit der ich von meinem Vorort nach Freiburg gefahren war. Doch, doch, das sei der IC nach Nürnberg, sagte ein Bahnmitarbeiter am Gleis. Regionalverkehr eben. Er wunderte sich, dass ich mich wunderte.

Ich hatte einen Platz gebucht, der mir in dem Wagen reserviert worden war, in dem eine komplette Schulklasse von etwa Achtjährigen auf den Sitzen tobte. Der Rest des Zuges war nahezu leer. Meine erste Aktion war die Flucht. Ich machte es mir in Wagen zwei, hmm, gemütlich. Die Sitzabstände waren beklemmend und die Sitze nicht verstellbar. Die deutsche Bahn stärkt im Regionalverkehr ihren Reisenden das Rückgrat. In diesen Sitzen wird nicht gelümmelt, da zeigt man Haltung.

Abfahrt in Karlsruhe um 9.06 Uhr, Ankunft in Nürnberg um 12.30 Uhr. Dreieinhalb Stunden S-Bahn-Fahrt.

Ich hatte zwei gute Bücher dabei. Die erste Stunde verging, die Sitzabstände legen die Redewendung nahe, wie im Fluge. Dann knackte der Lautsprecher und verkündete Erstaunliches: "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."

Oha. Eine S-Bahn mit Luxus. Meine Wasserflasche war leer, und ich machte mich auf den Weg zu Wagen sechs. Passierte diverse Kofferrampen, es ging auf und ab, ich wurde hin und her geworfen. In den Wagen, die ich durchquerte, waren ein paar Reisende in großen Abständen hingetupft. Sie sahen mir erstaunt nach. Offenbar hatten sie keinen Wunsch nach Luxus, sie wollten einfach nur ankommen. 

Die letzte Kofferrampe hinauf, Wagen sechs öffnete sich vor mir. An der Wand lehnte eine Mitarbeiterin der Bahn und wischte auf ihrem Handy herum. Als sie mich sah, steckte sie es hastig ein und strahlte mich an. Eine Kundin! Tatsächlich, eine Kundin. Zu ihren Füßen stand einer jener kleinen Einkaufskörbe aus dem Supermarkt, die man sich schnappt, wenn man kurz vor Ladenschluss noch etwas zum Abendessen einkaufen will. In dem Korb befanden sich ein paar Müsliriegel, Chipstüten, ein Apfel und eine winzige Packung Pralinen. Gemeinsam sahen wir auf das Angebot hinab.

"Das ist die Snack Bar?" fragte ich.

"Ja, heute haben wir leider nur eine kleine Auswahl", sagte die Frau hastig und versuchte ein erneutes Strahlen. "Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?"

Im Hintergrund, auf einer Art Wandbord, stand eine Warmhaltekanne mit einem mindestens zwei Stunden alten Kaffee.

"Haben Sie auch etwas Kühles zu trinken?" fragte ich.

"Oh, ja!" rief sie. "Was wollen Sie? Alkoholisch? Nicht alkoholisch?"

Sie schloss eine Wandtäfelung auf, und dort, wo ich in Zügen immer irgendwelche Technik vermutet hatte, kam ein Kühlschrank zum Vorschein. Sie pries mir jede Flasche einzeln an, wahrscheinlich war mein Besuch die einzige Abwechslung, die sie bis Nürnberg erwartete. 

Mit meiner Apfelschorle taumelte ich zurück in Wagen zwei. Die Frau hatte mir noch einen umweltschädigenden Pappbecher aufgedrängt, den ich genommen hatte, weil ich ihr eine Freude machen wollte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn haben keinen leichten Job. Diese tat mir besonders leid.

Ich versenkte mich erneut in mein Buch. Kurz vor Crailsheim knackte der Lautsprecher. "Liebe Fahrgäste, eine Erfrischung gefällig? Unsere Mitarbeiter erwarten Sie gerne in unserer Snack Bar in Wagen sechs."

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Samstag, 2. August 2025

David Steindl-Rast "HerzWerk"

 

Ich habe dieses schöne Buch geschenkt bekommen und muss es mit euch teilen. Der Benediktiner-Mönch David Steindl-Rast liebt Rilke (ich liebe beide, Rilke und Bruder David), und er legt die "Sonette an Orpheus" in diesem Buch im Gespräch mit Alexandra Kreuzeder so kundig und in großer Tiefe aus, wie ich es sonst nur von Dichtern kenne. Ja, David Steindl-Rasts Texte sind selbst Dichtung. Ich habe mich bisher eher mit anderen Gedicht-Zyklen von Rilke befasst, aber jetzt, wo mich David Steindl-Rast so liebevoll an die Hand nimmt, bin ich erstaunt über den sprachlichen und spirituellen Reichtum in den Orpheus-Sonetten.
 
In dem Sonett "O dieses ist das Tier, das es nicht giebt" zum Beispiel besingt Rilke die berühmten Einhorn-Wandteppiche. David Steindl-Rast fragt: "Ist das nicht purer Unsinn? Was es nicht gibt, ist eben nicht wirklich. Ja, es ist unwirklich für alle, denen nur das Handgreifliche als wirklich gilt. Und leider sind das zu viele unter uns." Für die Schöpfer der Wandteppiche jedoch war das Einhorn wirklich, und für Kinder ist es das auch.
 
Im Sonett II,27 fragt Rilke: "Ist die Kindheit, die tiefe, versprechliche, in den Wurzeln - später - still?" David Steindl-Rast sagt dazu: "Nein. Das Kind in uns schläft nur 'bei den Wurzeln'. Dichtung will dieses Kind in uns aufwecken. Es will ja aufwachen, weil unsere Kindheit zu kurz war, um das Kind zu werden, das wir eigentlich sind. Auch das Kind in dir dichtet und liebt das Einhorn."
 
Und, zum Sonett I,19 "Wandelt sich rasch auch die Welt": "Für den Dichter besteht offenbar der Reifungsprozess eines Menschenlebens in fortschreitendem Verwandeln, bei dem das Außen immer geringer wird und schließlich verschwindet, wenn aller von uns lebenslang eingeheimster Nektar des Sichtbaren zu Honig wurde - im unsichtbaren Bereich. Er nennt uns Menschen ja auch 'die Bienen des Unsichtbaren'."
 
Rilke weiß, dass es keine Trennung gibt zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt: "Es gibt weder ein Diesseits noch ein Jenseits, sondern die große Einheit ... Engel wissen oft nicht, ob sie unter Lebenden gehen oder Toten." Für Rilke gibt es auch keine Trennung zwischen dem Schmerzhaften und Beglückenden. In einem Brief an Emmy Hirschfeld schreibt er: "Was von uns verlangt wird, ist, dass wir das Schwere lieben und mit dem Schweren umgehen lernen. Im Schweren sind die freundlichen Kräfte, die an uns arbeiten. Mitten im Schweren sollen wir unsere Freuden haben, unser Glück, unsere Träume; da, vor der Tiefe dieses Hintergrunds, heben sie sich ab, da sehen wir erst, wie schön sie sind."
 
Das Buch ist so reich, weil die beiden Autoren auch Briefe und andere Gedichte von Rilke heranziehen, um den Kosmos der "Sonette an Orpheus" zu vertiefen. Ich könnte hier viele Lieblings-Stellen zitieren, aber lest doch am besten selbst. Das Buch gehört zu den Büchern, die man nie "ausliest", mit denen man nie "fertig ist". 
 
David Steindl-Rast und Alexandra Kreuzeder "Herzwerk. Freude finden mit Rainer Maria Rilkes 'Sonette an Orpheus'", mit sehr schönem Leinen-Einband, Tyriolia Verlag, ISBN 978-3-7022-4257-2, 25 EUR.
 
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